Nie gab es mehr zu tun: Für ein Jahrzehnt der Modernisierung in Niedersachsen

Während der Corona-Krise sind viele Menschen in Niedersachsen über sich hinaus gewachsen. Ob etwa die Beschäftigten im Gesundheitswesen, in der Wissenschaft oder in der Privatwirtschaft – an vielen Stellen haben sich Bürgerinnen und Bürger auf neue Herausforderungen eingestellt. Doch der Staat hat sich während der Pandemie nicht von seiner besten Seite gezeigt. Viele Unternehmen und Selbstständige wurden bei den Corona-Hilfen über Monate hinweg alleine gelassen. Bis heute sind Bildungs- und Betreuungsangebote für alle Kinder nicht hinreichend sichergestellt. Und bei der Nachverfolgung des Infektionsgeschehens und der Organisation der Impfkampagne setzte der Staat auf Bürokratie und veraltete Technologie statt auf Pragmatismus und digitale Lösungen. Gleichzeitig werden die Freiheitsrechte der Menschen durch scharfe Corona-Maßnahmen eingeschränkt.

Dieses Bild von Politik, Staat und Verwaltung droht das Vertrauen der Menschen in die Kompetenz zur Problemlösung demokratischer Institutionen nachhaltig zu beschädigen. Daneben wirkt sich die Krise nachhaltig auf den Arbeits- und Wohnungsmarkt, auf die Zukunftsfähigkeit vieler kleiner Unternehmen, besonders in den Bereichen Kultur, Gastronomie und Freizeit, auf die Attraktivität der Innenstädte, aber auch auf die physische und psychische Gesundheit sowie auf die Bildungs- und Aufstiegschancen vieler Menschen aus. Auf dem Weg aus der Krise muss Niedersachsen kurzfristig auf die Corona-Pandemie reagieren, die strukturellen Auswirkungen der Krise und die zu Tage getretenen Schwächen bewältigen und erste Grundsteine für ein Jahrzehnt der Modernisierung legen.

  1.  Vor dem Hintergrund der sinkenden Infektionszahlen braucht Niedersachsen ein Lockdown-Moratorium, auf das sich die Menschen verlassen können. Zu diesem Zweck muss ein verbindlicher Stufenplan im Niedersächsischen Landtag beschlossen werden, an den verlässlich konkrete Lockerungsschritte geknüpft werden. Dieser muss auch aufzeigen, unter welchen Voraussetzungen gänzlich auf weitere Eingriffe in die Grundrechte verzichtet wird. Die kurzfristige Regelung weiter Teile des öffentlichen und privaten Lebens durch Rechtsverordnungen der Landesregierung führt zu Unsicherheit und Intransparenz.
  2.  Eine klare Strategie beim Impfen ist überfällig. Noch immer warten tausende von Menschen auf einen Impftermin. Gleichzeitig weckt die Landesregierung wiederholt bei zusätzlichen Gruppen die Erwartung, dass sie zeitnah geimpft werden können, obwohl mit zusätzlichen Impfstoffmengen nicht zu rechnen ist. Diese enttäuschten Erwartungen führen zu vermeidbaren Frustrationen. Stattdessen muss die Landesregierung sich auf das Abarbeiten der Wartelisten konzentrieren, die Verteilung der Impfstoffe optimieren und umfassende Transparenz über die Impfkampagne herstellen. Zudem sollte sie die freiwillige Zweitimpfung von unter 60jährigen Menschen mit AstraZeneca ermöglichen und sich bemühen, die Apotheken – auch zur Entlastung der vielerorts überlasteten Hausarztpraxen – mit in die Impfkampagne einzubeziehen. Schon heute muss die Landesregierung zudem die Organisation einer möglichen Auffrischungsimpfung im Herbst 2021 planen.
  3.  Um Bildungschancen für alle Kinder sicher zu stellen, muss der Lern- und Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern evaluiert werden, ohne dass es zu einer Stigmatisierung kommt. Bis zu den Sommerferien sollte auf alle Klassenarbeiten und Notengebungsverfahren verzichtet werden, sofern diese nicht für den Schulabschluss relevant sind, um die gewonnene Unterrichtszeit zum Abbau von Lernrückständen zu nutzen und keinen unnötigen zusätzlichen Druck aufzubauen. Zu Beginn der Sommerferien kann Niedersachsen seinen Schülerinnen und Schülern dann mit einem digitalen Niedersachsen-Kolleg für alle Schuljahrgänge auf Basis einer digitalen Lernstandserhebung und der bestehenden Kerncurricula für alle Fächer Lernangebote zu schulischen und außerschulischen Lerninhalten bereitstellen, um die individuelle Lerndefizite kompensieren. Jede Schule ist unterschiedlich gut durch die Pandemie gekommen und kennt ihre Herausforderungen im kommenden Schuljahr am besten. Dem Schulvorstand ist daher ein Budget zur individuellen Verwendung einzuräumen. Dies kann insbesondere auch für Schulfahrten eingesetzt werden, um die sozialen Folgen in den Klassengemeinschaften aufzugreifen. Auch kostenlose Ferienangebote mit schulischen und außerschulischen Lerninhalten sollten in Zusammenarbeit mit außerschulischen Lernorten sowie der Kinder- und Jugendarbeit entwickelt werden. Die Bildungseinrichtungen müssen außerdem endlich pandemiesicher werden, indem flächendeckend geeignete Belüftungs- oder Luftreinigungssysteme eingesetzt werden, und in die Lage versetzt werden, die digitalen Möglichkeiten in der Bildung auch tatsächlich zu nutzen.
  4.  Angesichts der Auswirkungen der Pandemie braucht unser Land einen Pakt für die Innenstädte. Statt Auflagen und Bürokratie brauchen Einzelhändler und Gastronomen beste Rahmenbedingungen, damit sich Ihre Situation endlich verbessert. Das Modellprogramm Quartiersinitiative Niedersachsen (QiN) muss reaktiviert und regionale Einzelhandelsentwicklungskonzepte gefördert werden. Initiativen für so genannte Business Improvement Districts (BID) sollen von der Startphase bis zur Umsetzung eine finanzielle Förderung erhalten können. Parkgebühren sowie Gebühren für Schank- und Sondernutzungserlaubnisse und flächenmäßige Begrenzungen für die Außengastronomie sollen, wenn in den Kommunen möglich, ausgesetzt werden.
  5.  Nach über einem Jahr in der Pandemie braucht es einen niedersächsischen Kultursommer für Theater, Opernhäuser, Festivals, Open-Air-Veranstaltungen und weitere kulturelle Events und Einrichtungen sowie für die Künstlerinnen, Künstler und das Publikum. Kultureinrichtungen verfügen über ausgereifte Hygiene-, Test- und Infektionsschutzkonzepte. Vor diesem Hintergrund müssen kulturelle Veranstaltungen wieder möglich sein. Dafür muss das Land einen schnellen Mittelabfluss aus dem Sonderfonds Kultur sicherstellen, gemeinsam mit den Veranstaltern unbürokratische Rahmenhygienekonzepte ermöglichen, Indoor-und Outdoor-Planungssicherheit für stationäre und nicht-stationäre Kulturveranstaltungen bieten und die flächendeckende Öffnung von Kultureinrichtungen unterstützen.
  6.  Das Corona-Virus kann eine schwere Erkrankung auslösen, die vor allem für ältere und vorerkrankte Personen besonders gefährlich ist. Doch Gesundheit ist auch während einer Pandemie mehr als der Schutz vor einer Virusinfektion. Um die Schäden der vergangenen Monate zu beheben, müssen Sport- und Präventionsangebote stärker gefördert werden. Auch die Entwicklung von psychischen Auffälligkeiten hat durch die Pandemie stark zugenommen. Viele Menschen fühlen sich durch die Pandemie und die veränderte Lebenswirklichkeit stark belastet. Sie benötigen zeitnah Unterstützung, um ihre seelische Gesundheit zu verbessern. Damit die Suche nach Hilfe für Betroffene nicht zum Hinderungsgrund wird, müssen die Systeme der Unterstützung schon jetzt auf den vermuteten erhöhten Bedarf nach der Pandemie angepasst werden. Damit einher geht ein dringender Bedarf an kurzfristigen und niedrigschwelligen Beratungsangeboten und flächendeckende und auskömmliche Versorgung.
  7.  Die niedersächsische Wirtschaft muss auf dem Weg aus der Krise wieder wachsen können. Die meisten Unternehmen haben durch die Corona-Krise Umsatzverlust erlitten, deren Folgen auch noch lange nach der Pandemie zu spüren sein werden. So wurden Eigenkapitalreserven aufgezehrt und Finanzierungsmöglichkeiten maximal ausgereizt. Dadurch fehlt es nun an den Spielräumen für Investitionen und Innovationen und in vielen Fällen ist der Fortbestand der Unternehmen, ihrer Arbeitsplätze und des KnowHows gefährdet. Neben den dringend notwendigen Impulsen des Bundes, etwa bei Steuerentlastung, Bürokratieabbau, Digitalisierung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, ist aber auch die Landesregierung gefordert. So muss die Landesregierung gemeinsam mit Industrie- und Handelskammern und Unternehmen ein Beratungs- und Unterstützungsangebot für die Nutzung des gerade beschlossenen Stabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes einrichten. Mit den neuen Möglichkeiten dieses Gesetzes können Unternehmen bereits im Vorfeld einer Insolvenz gemeinsam mit den Gläubigern einen Neustart gestalten. Diese neuen Möglichkeiten erfordern eine breite Information und Unterstützung. Daneben sollte das Land den Unternehmen helfen, die aufgrund der Umsatzverluste in der Pandemie trotz einer positiven Prognose wegen der Bankenregulierung keinen Zugang mehr zu Bankkrediten haben. In diesen Fällen sind über ein direktes Kreditprogramm bei der NBank ortbestand und Investitionen der Unternehmen sicherzustellen.
  8.  Niedersachsen muss sich auf seine wirtschaftlichen Stärken besinnen. Mit der Automobilindustrie befindet sich ein zentraler Wirtschaftszweig im Wandel. Das Land muss diese Transformation aktiv begleiten und durch Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen den Beschäftigten ei-ne Perspektive geben. Im Bereich der Batteriezelltechnik, von der Entwicklung bis zum Recycling, bietet sich eine weitere Möglichkeit, den Strukturwandel zu unterstützen. Darüber hinaus eröffnet die Gesundheitsbranche weitere Möglichkeiten, in denen das Land zu einer erfolgreichen Clusterbildung beitragen kann. Dabei müssen auch die nationalen Bestrebungen eingebunden werden, im Bereich der Medizintechnik unabhängiger vom Weltmarkt zu werden.
  9.  Niedersachsen braucht und verdient eine leistungsfähige und effizient arbeitende Verwaltung. Die letzten Wochen und Monate haben gezeigt, dass in diesem Bereich noch ein großer Handlungsbedarf besteht. Anträge und Anliegen der Bürgerinnen und Bürger müssen schnell und effizient bearbeitet werden. Dienstleistungen der öffentlichen Hand müssen digital angeboten werden. Bei der Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes darf Niedersachsen nicht abgehängt werden. Experten für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung müssen daher zentral ausgebildet und im Wege eines Rotationsverfahrens bei unterschiedlichen Kommunen eingesetzt werden. Ferner muss eine wiederkehrende Aufgabenkritik der Landesverwaltung Inklusive Zweck, Umfang und Häufigkeit gesetzlich verankert werden. Zudem muss mobiles Arbeiten in allen niedersächsischen Landesbetrieben, insbesondere aber in den niedersächsischen Ministerien, für jede geeignete Stelle ermöglicht werden.
  10.  Die Pandemie hat die bekanntermaßen schon zu lange bestehende Digitalisierungslücke in Niedersachsen in Ihrer vollen Dramatik demonstriert. Im Bereich Glasfaser ist es nötig, mit den Kommunen und Anbietern die Anschlussnotwendigkeiten zu priorisieren, Beschleunigungsmöglichkeiten rechtlich und finanziell abzustimmen, Förderprogramme neu auszurichten und zu entbürokratisieren sowie eine Allianz für Änderung der EU-Aufgreifschwelle für Förderung zu bilden. Im Bereich des Mobilfunks müssen zunächst die weißen Flecken exakt ermittelt werden. Anschließend gilt es, Roaming oder Mitnutzung der Antennen umzusetzen sowie geeignete Förderprogramme oder Eigenausbauten in den „weißen-Flecken“ aufzulegen. Nicht zuletzt ist eine Genehmigungsbeschleunigung für Funk-Infrastruktur angebracht. Im Rahmen einer WLAN-Offensive wiederum sollte damit begonnen werden, ein NDS-WLAN auszurollen, mit dem alle 277 Gebäude mit öffentlichem WLAN ausgestattet werden. Darüber hinaus sollte Kommunen für Innenstädte oder besondere Orte eine 100-prozentige Förderung bei NDS-WLAN angeboten werden. Für uns ist klar: Ein digitales Niedersachsen braucht auch ein Digitalministerium. Die Entscheidungskompetenz muss in einem Ressort gebündelt werden. Eine medienbruchfreie Verwaltung wollen wir bis 2025 erreichen, inklusive E-Akte und digitalen Dokumentenmanagement bis 2023.