Christian Dürr: Bürokratieabbau ist das billigste Konjunkturprogramm
Der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion Christian Dürr gab der „Abendzeitung“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Natalie Kettinger.
Frage: Herr Dürr, die FDP hat bei der Landtagswahl in Brandenburg nicht einmal halb so viele Stimmen bekommen wie die Tierschutzpartei, die Grünen sind quasi führungslos: Hält die Ampel-Koalition noch bis September 2025 durch?
Dürr: Die Menschen interessieren sich doch nicht dafür, ob es Politikern aktuell gut geht oder nicht. Wirtschaft und Migrationspolitik: Das sind die Themen in diesem Herbst.
Frage: Auf beide kommen wir noch. Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet.
Dürr: Wenn drei Landtagswahlen ungut laufen, ist das immer schmerzhaft. Aber wenige Wochen zuvor haben wir bei der Europawahl in Hamburg sieben Prozent erreicht, dort findet die nächste Landtagswahl statt. Wir sind in sehr volatilen Zeiten. Wir haben eine Neuorientierung der Parteienlandschaft. Gerade in solchen Zeiten braucht es eine Partei, die für Eigenverantwortung und Freiheit steht. In der Corona-Zeit war die FDP die einzige seriöse Partei, die darauf bestanden hat, dass der Schutz der Gemeinschaft zwar wichtig ist, die Freiheit des Einzelnen aber genauso im Mittelpunkt stehen muss. Ich glaube, in einer ähnlichen Situation sind wir heute auch wieder.
Frage: Zu Zeiten der Pandemie war eine der lauten liberalen Stimmen die von Parteivize Wolfgang Kubicki. Nach der Brandenburg-Wahl gehörte Herr Kubicki zu denjenigen, die einen Ausstieg aus der Ampel forderten. Wie stehen Sie dazu?
Dürr: Ich teile Wolfgang Kubickis Erwartungshaltung, dass diese Koalition Entscheidungen trifft. Es darf nichts mehr aufgeschoben werden. Wir können darüber philosophieren, was in der Ära Angela Merkel alles falsch gelaufen ist, aber es ist an uns, das zu ändern. Und ja: Ich habe mich auch manches Mal über die Koalition geärgert, insbesondere, wenn es viel Debatte und wenig Entscheidungen gab. Aber sehen Sie sich die Migrationspolitik an: Wer hätte gedacht, dass wir im Bundestag über ein Gesetz reden, das dazu führt, dass diejenigen, für die wir nicht zuständig sind, weil sie ursprünglich in ein anderes europäisches Land eingereist sind, keine Sozialleistungen mehr erhalten? Oder darüber, dass diejenigen, die bei uns Schutz suchen, aber Urlaub in ihrer Heimat machen, den Schutzstatus verlieren? Personelle Erneuerung ist das eine. Aber ich habe das Gefühl, da könnte es auch eine neue politische Richtung geben.
Frage: Ihr Vize Lukas Köhler sieht Nachteile für die junge Generation. Wie wollen Sie die entlasten?
Dürr: Durch das Generationenkapital, das ist eine Jahrhundertreform. Schweden geht diesen Weg sehr erfolgreich. Darüber hinaus besprechen wir gerade im Rahmen eines großen Wachstumspaketes, wie es attraktiver werden kann, länger zu arbeiten. Denn wenn Menschen freiwillig länger arbeiten, stabilisiert das natürlich auch das Rentensystem. Ich glaube, uns eint in der Koalition das Ziel, dass wir stabile Renten und solide Beiträge erreichen wollen.
Frage: Nämlich welche?
Dürr: Die Grünen im Bundesrat tragen vor, dass sie sich vorstellen können, dass das Konzept der Sicheren Herkunftsstaaten ausgeweitet wird, was deutlich mehr Ordnung bringen würde – was in der Vergangenheit bei den Grünen jedoch immer verpönt war.
Frage: Haben Sie sich auch über das Rentenpaket der Ampel geärgert? Das hatten Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD und Finanzminister Christian Lindner gemeinsam vorgestellt – und die FDP war topstolz auf die Einführung des Generationenkapitals. Doch nun will Ihre Fraktion nicht zustimmen.
Dürr: So funktioniert Parlamentarismus: Man hat einen Gesetzentwurf, der im Bundestag beraten wird. Wir wollen stabile Renten, solide finanziert. Bemerkenswert ist doch, dass der Parteivorsitzende der CDU am Sonntag gesagt hat, er wolle das alte System verstetigen, also nichts daran ändern. Aber sinkende Renten und steigende Beiträge können keine Option sein. Deswegen ist uns die Aktienrente so wichtig, weil so alle, die in die Rente einzahlen, von den Kapitalmärkten profitieren. Das war bisher denjenigen vorbehalten, die es sich leisten konnten. Das Generationenkapital dämpft die Beitragssteigerung. Wir müssen jetzt besprechen, wie wir das Paket insgesamt solide hinbekommen. Ich bin da zuversichtlich.
Frage: SPD-Chefin Saskia Esken hat am Wochenende gesagt: „Die FDP provoziert, weil sie verzweifelt versucht, sich zu profilieren.“ Sehen so Einigkeit und gute Zusammenarbeit aus?
Dürr: Ich habe mich darüber auch gewundert. Das ist einfach Quatsch. Wenn man als Partei sehr deutlich sagt: Wir wollen mit der Wirtschaft zurück auf den Wachstumspfad, aufräumen in der Migrationspolitik und solide Finanzen – Stichwort: Einhaltung der Schuldenbremse –, sind das Positionen der FDP, das stimmt. Aber über diese Positionen sollte man sich auch in der Koalition einig sein, anstatt Kopfnoten zu verteilen.
Frage: Scharfe Worte kamen auch von CDU-Chef Friedrich Merz – eigentlich der natürliche Bündnispartner der Liberalen. Er schrieb in einem Brief an CDU-Mitglieder, die FDP tue alles, um endlich aus der Koalition herausgeworfen zu werden. Hätten Sie vor diesem Hintergrund lieber Markus Söder als schwarzen Kanzlerkandidaten gehabt?
Dürr: Ich mische mich nicht in die Kanzlerkandidatenfindung der Union ein. Aber es wird bestimmt noch interessant, welche Hinweise der bayerische Ministerpräsident im Wahlkampf an die Adresse von Kanzlerkandidat Merz sendet. Unter dem Strich wundern mich einige Äußerungen aber schon. Die CDU hat das Land lange regiert und es in einem schlechten Zustand übergeben. Ich erkenne allerdings an, dass sie ihre Einstellung in der Migrationspolitik in den letzten zwölf Monaten geändert hat. Das ist eine Chance. Denn bei der Migrationspolitik ist es absolut zwingend erforderlich, dass die Parteien zusammenarbeiten, das hat der Fall Solingen gezeigt.
Frage: Im Hinblick auf die direkten Zurückweisungen an den Grenzen hat das nicht geklappt. Die Ampel wollte diese an einzelnen Übergängen umsetzen. Das hat der CDU jedoch nicht gereicht, sie hat die Gespräche abgebrochen.
Dürr: Wir haben vereinbart, dass wir effektive Zurückweisungen umsetzen wollen und Menschen auch in Gewahrsam nehmen, damit sie nicht später über die grüne Grenze ins Land kommen. Die Union will auch direkte Zurückweisungen, wofür wir Liberale sehr offen sind, solange sie funktionieren. Um so unverständlicher fand ich, dass man kurz vor dem Ziel aufgestanden und gegangen ist. Meine Erwartungshaltung ist, dass die Union der Verantwortung gerecht wird, die sie in vielen Bundesländern trägt. Wir brauchen die Länder für die Gewahrsamszentren und bei den Abschiebungen. Hinzukommt: Die Verantwortung für die Entscheidungen 2015 führt meiner Ansicht nach dazu, dass die Union an den Verhandlungstisch zurückkommen muss. Die Einladung dazu ist ja bereits ausgesprochen.
Frage: Was muss in der Migrationspolitik Ihrer Meinung nach noch angegangen werden?
Dürr: Es muss leichter sein, nach Deutschland zu kommen, um zu arbeiten, als nach Deutschland zu kommen, um nicht zu arbeiten. Wir wollen ein weltoffenes Einwanderungsland sein – in den Arbeitsmarkt! Die Menschen haben kein Verständnis dafür, dass unser Sozialstaat in den letzten Jahren wie ein Magnet gewirkt hat. Deshalb muss umgesteuert werden. Erste Schritte dafür sind bereits getan: Das neue Einwanderungsgesetz macht es viel einfacher, in Deutschland zu arbeiten, und hilft den mittelständischen Unternehmen. Gleichzeitig sind wir bei der irregulären Migration viel schärfer. Und noch nie hat es so viele Migrationsabkommen gegeben, die Abschiebungen ermöglichen. All das war in der Merkel-Ära nicht möglich. Meine Bitte ist nur, dass wir das gemeinsam mit den Bundesländern machen – und dass sie alle schnellstmöglich die Bezahlkarte einführen, wie es Bayern ja schon getan hat.
Frage: Haben Sie eigentlich Sorge, dass die erwünschte Migration in den Arbeitsmarkt von den Erfolgen der AfD gebremst wird?
Dürr: Aktuell nicht, weil Deutschland attraktiv ist. Wir sind ein super Land! Aber klar ist auch, dass Ressentiments und Abschottung – denken Sie an die Überlegungen dieser Partei zu einem EU- und einem Nato-Austritt – immer gegen deutsche Interessen gehen: Wir wären wirtschaftlich abgehängt und hätten keinen Sicherheitsschirm mehr gegen Länder wie aktuell Russland, die uns nicht wohlgesonnen sind. Deshalb ist die AfD eine in höchstem Maße unpatriotische Partei, die sich rassistisch gebärdet. Ich bin angetreten, damit die Politik dieser Partei überflüssig wird.
Frage: Trotzdem wird man den Eindruck nicht los, dass die demokratischen Parteien in der Migrationspolitik immer mehr Positionen der AfD übernehmen.
Dürr: Die FDP vertritt seit 2016 dieselben Positionen, da war die AfD noch nicht mal im Bundestag: Wir wollen mehr Einwanderung in den Arbeitsmarkt und klare Regeln bei der irregulären Migration.
Frage: Wenn nun also alle auf die FDP-Linie einschwenken: Wie erklären Sie sich die schlechten Wahlergebnisse Ihrer Partei?
Dürr: Bei den ostdeutschen Landtagswahlen ging es teilweise nur noch darum, die Ränder zu isolieren. Das war keine zukunftsorientierte Politik, sondern Verhinderung und da haben wir es schwer. Aber die FDP hatte es schon immer ein bisschen schwerer, weil wir bei vielen Positionen einzigartig sind: Wie viele Unions-Ministerpräsidenten fordern, die Schuldenbremse aufzuheben? Außerdem erinnere ich mich noch gut an das „Team Vorsicht“ um Markus Söder während der Corona-Pandemie. Es braucht einfach eine Partei, die den Mut hat, Wahrheiten auch dann auszusprechen, wenn sie unpopulär sind. Dann bewegen sich andere auch. Aber natürlich würde ich mir aktuell bessere Umfragewerte wünschen.
Frage: Sind Vorstöße wie der, wieder mehr Autos in die Innenstädte zu bringen, nicht eher ein Akt der Verzweiflung?
Dürr: Die Politik in deutschen Städten lautet häufig: Die Autos müssen weg. Ich halte das für grundfalsch. Wir brauchen eine intelligente Verkehrssteuerung, zum Beispiel eine Digitalisierung beim Parken. Ich halte dieses „entweder Autos oder ÖPNV“ für absurd. Es geht doch nicht darum, die Innenstädte zu verstopfen, sondern den Verkehr intelligent zu lenken und beides miteinander zu verbinden. Diese Politik gegen das Auto muss aufhören – und dafür steht die FDP: für Technologieoffenheit beim Antrieb und dafür, dass die Menschen ihr Verkehrsmittel individuell wählen können.
Frage: Aber die Bundesregierung hat doch beschlossen, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll. Wie passt das zusammen?
Dürr: Genau dafür brauchen wir ein Ende des Verbrennerverbots, denn mit diesem Verbot werden wir die Klimaziele reißen. Selbst bei optimistischen Annahmen werden wir nicht genug Elektroautos haben. Hinzukommt, dass diese Elektroautos teilweise mit Kohlestrom fahren. Deshalb wäre nichts besser als ein Hochlauf an klimaneutralen Kraftstoffen. Mit HVO100 haben wir jetzt den ersten eingeführt, auf Druck der FDP. Dieser klimaneutrale Dieselkraftstoff war vorher in Deutschland verboten. Das ist doch verrückt! Deshalb muss Ursula von der Leyen ihr Wahlkampfversprechen einlösen und das Verbrennerverbot aufheben. Weil bisher nichts passiert ist werden wir den Druck jetzt erhöhen. Wir müssen endlich erlauben, dass auch der Verbrennermotor klimaneutral sein kann.
Frage: E-Fuels sind allerdings teuer, nicht in Masse erhältlich und nach Sicht von Experten deshalb wohl eher Schiffen und Flugzeugen vorbehalten.
Dürr: Ich widerspreche in allen Punkten. Erstens geht es um Gesamteffizienz. Was bringt es denn, ein Elektroauto mit Kohlestrom zu fahren? Klüger wären Energiepartnerschaften mit sonnenreicheren Ländern, über die wir grünen Wasserstoff nach Deutschland bringen, den wir ohnehin in großen Mengen brauchen. Je mehr Nachfrage wir haben, desto größer wird das Angebot – und dann sinken auch die Preise. Die planwirtschaftlichen Ansätze, dass der Staat der große Planer ist, der die Technologie vorgibt, den Kraftstoff und am Ende noch den Preis, müssen weg. VW erlebt gerade, wohin das führt. Politiker müssen aufhören, die besseren Ingenieure sein zu wollen. Sie müssen Rahmenbedingungen setzen und wieder mehr Marktwirtschaft wagen.
Frage: Aus der Industrie ist allerdings eine gewisse Verunsicherung zu vernehmen, weil sich die Rahmenbedingungen nun wieder ändern sollen – Stichwort Verbrennerverbot…
Dürr: Wir waren schon immer dagegen. Und es ärgert mich, dass wir als Bundesregierung mit Frau von der Leyen vereinbart haben, dass klimaneutrale Kraftstoffe zugelassen werden, sie sich bisher aber nicht daran gehalten hat.
Frage: Die FDP trägt aktuell den Begriff der Wirtschaftswende wie eine Monstranz vor sich her. Was sind die wichtigsten drei Punkte?
Dürr: Erstens: Bürokratieabbau, das billigste Konjunkturprogramm überhaupt. Das erste entsprechende Gesetz haben wir soeben durch den Bundestag gebracht – und jetzt muss auch Europa liefern. Da ist in den letzten Jahren so viel Quatsch beschlossen worden, der der Wirtschaft schadet. Zweitens: Entlastungen, auch bei der Einkommensteuer. Und drittens müssen wir es attraktiver machen zu arbeiten, mit Blick auf die Lebensarbeitszeit, aber auch auf Überstunden.
Frage: Wie viele der 49 Punkte aus dem Wirtschaftspaket der Ampel müssen umgesetzt werden, damit Ihre Partei Teil der Koalition bleibt?
Dürr: Wie gesagt, ich denke über diese spielerischen Fragen nicht nach. Aber erfüllt werden muss: alles!