Christian Dürr: Das Verbrenner-Aus muss endgültig fallen
Der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion Christian Dürr gab der „Wirtschaftswoche“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Benedikt Becker und Max Haerder.
Frage: Herr Dürr, hätten Sie Lust, mal mit Friedrich Merz zu regieren?
Dürr: Ich will jetzt etwas bewegen, deshalb habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Aber ausgeschlossen ist das natürlich nicht.
Frage: Wir haben das Gefühl, dass in Ihrer Fraktion die Sehnsucht nach Schwarz-Gelb wächst.
Dürr: Da gibt es keine Sehnsucht nach irgendwelchen Koalitionen. Jede andere Regierung stünde vor den gleichen schweren Aufgaben.
Frage: Ihre Partei hat gerade den „Herbst der Entscheidungen“ ausgerufen. Wann wird das aus Sicht der FDP ein guter Herbst?
Dürr: Wenn wir die beiden größten Herausforderungen angehen. Wir müssen Migration besser ordnen und kontrollieren. Und wir wollen unser Land wieder in die wirtschaftliche Erfolgsspur führen.
Frage: Fangen wir mit Migration an. Da ist zuletzt schon viel beschlossen worden. Reicht das?
Dürr: Was wir bisher beschlossen haben, wirkt. Die Zahl der irregulär eingereisten Migranten hat sich fast halbiert. Das zeigt der Vergleich von August 2024 mit August 2023. Trotzdem ist noch viel zu tun.
Frage: Sie hätten kein Problem damit, sich auf den rechtlich umstrittenen Vorschlag der Union zu Zurückweisungen an den Grenzen einzulassen?
Dürr: Wir müssen die Kontrolle haben, wer zu uns kommt. Wir haben uns mit der Union bereits über das Konzept der „effektiven Zurückweisungen“ mit Gewahrsamszentren unterhalten. Es verhindert, dass Personen, die zurückgewiesen werden, hundert Meter weiter über die grüne Grenze zu uns kommen. Es gibt auch Überlegungen, Menschen bei Fluchtgefahr in Haft zu nehmen.
Frage: Die Union besteht auf umfassende Zurückweisungen direkt an der Grenze, ohne Gewahrsam.
Dürr: Das kann ein zusätzliches Instrument sein. Bedenkenträgerei können die Deutschen jedenfalls nicht mehr hören.
Frage: Zweites Thema: Wirtschaftswende. Ist das Wachstumspaket für die FDP nur dann ein Erfolg, wenn alle 49 Maßnahmen daraus eins zu eins umgesetzt werden?
Dürr: Ja, das ist das Mindeste.
Frage: Finanzminister Christian Lindner, Ihr Parteichef, möchte den „Ambitionsgrad“ der Regierung gerne erhöhen.
Dürr: Und da hat er recht. Es liegen noch nicht alle Gesetzestexte zu den 49 Maßnahmen vor. Da muss vor allem Hubertus Heil noch liefern. Zum Beispiel bei der Arbeitszeit, wo wir mehr Flexibilität wollen. Aber ich möchte noch einen wichtigen Aspekt hinzufügen.
Frage: Nur zu.
Dürr: Wir haben als größte Volkswirtschaft auch erhebliches politisches Kapital, europäische Regeln zu ändern. Und ich bin sehr dafür, dass wir das bei den CO2-Flottengrenzwerten nutzen. Das Verbrenner-Aus muss endgültig fallen. Die Flottenregulierung muss weg.
Frage: Es gibt deutsche Autobauer, die mit dieser Regulierung bislang wunderbar zurechtgekommen sind.
Dürr: Ich bewerte nicht einzelne Hersteller. Diese EU-Regel wird die deutsche Volkswirtschaft an die Wand fahren. Sie zerstört unsere wichtigste Exportindustrie.
Frage: Nehmen wir mal an, das Verbrenner-Aus fällt. VW würde trotzdem kein einziges Elektroauto zusätzlich in China verkaufen.
Dürr: Wieso?
Frage: Das Problem von VW ist doch nicht das Verbrenner-Aus, sondern dass der Konzern keine wettbewerbsfähigen E-Autos für den chinesischen Markt hat.
Dürr: Klar, das muss VW hinbekommen. Aber das kann doch nicht der Staat entscheiden. In Europa – und im Rest der Welt – spielt der Verbrenner eine sehr wichtige Rolle.
Frage: Europäische Regulierung allein entscheidet also nicht über Wohl und Wehe der deutschen Exportindustrie.
Dürr: Das sehe ich anders. Ich könnte die Liste fortsetzen. Nehmen Sie nur die europäische Lieferkettenrichtlinie. Es hat sich ein Konvolut an moralisch gut gemeinter Regulierung aufgebaut, die die Welt nicht verändern wird, sondern ausschließlich unserer Wirtschaft in Europa schadet.
Frage: Christian Lindner sagt: Wenn die Regierung den Anforderungen des Landes nicht mehr gerecht wird, müsse man den Mut haben, „eine neue Dynamik“ zu entfachen. Das hieße dann: Raus aus der Ampel.
Dürr: Darüber spekuliere ich nicht. Nochmal, weil es mir wichtig ist: Egal, wer jetzt regieren würde, stünde vor den gleichen Herausforderungen. Und die Menschen wollen Lösungen für die drängenden Probleme.
Frage: Sie können reinen Herzens keine Bestandsgarantie für die Ampel bis September 2025 geben?
Dürr: Ich verstehe das Interesse, nicht nur über Inhalte sprechen zu wollen. Aber ich will es nicht bedienen.
Frage: Wir fragen ja nicht danach, weil es uns Spaß macht. Die entsprechenden Stimmen kommen aus Ihrer Partei und Fraktion.
Dürr: Ja. Die Aufgaben bei Migration und Wirtschaftspolitik müssen wir lösen. Daran muss sich diese Regierung messen lassen. Aber nochmal: Jede andere auch. Wir müssen die Wegmarken für die Zukunft dieses Landes setzen. Das mag pathetisch klingen. Aber es ist unsere Pflicht – und aus meiner Sicht wäre es keine Alternative, es nicht zu tun.
Frage: Wir wollen nur verstehen, wo die roten Linien verlaufen, bei deren Überschreitung die Koalition beendet wäre.
Dürr: Schuldenbremse aufheben, neue Milliardensubventionen verteilen, mehr Bürokratie aufbauen – das kann keine Option sein. Aber das hätte in Deutschland auch keine Mehrheit.
Frage: Wer an der Schuldenbremse festhält, muss sich dann aber auch ehrlich machen: eine große Entlastung oder üppige Abschreibungsprogramme wird es mit ihr nie mehr geben.
Dürr: Wieso? Die Ampel hat bereits Abschreibungen beschlossen – und wir planen neue.
Frage: Aber in homöopathischen Dosen.
Dürr: Außerdem entlasten wir Millionen von Steuerzahlern durch den Abbau der kalten Progression in der Einkommensteuer.
Frage: Na ja, eine höhere Belastung zu verhindern ist noch keine Entlastung.
Dürr: Vorgängerregierungen haben allerdings nicht mal das in dem Umfang hinbekommen. Es geht also. Auch mit der Schuldenbremse.
Frage: Ihr Optimismus in allen Ehren, aber die Ampel war mal als Projekt angetreten, um lagerübergreifend Fortschritt zu organisieren. Wann haben Sie gemerkt: Das wird nichts mehr?
Dürr: Einspruch. Es ging und geht ja ziemlich viel. Von der Planungsbeschleunigung über das Einwanderungsgesetz bis hin zu mehr Marktwirtschaft beim Klimaschutz. Ich könnte noch mehr aufzählen. Uns ist vieles gelungen. Aber die Aufgaben sind eben immer größer geworden. Wir mussten unsere Politik mit der Zeitenwende neu ausrichten – und ich finde: An vielen Stellen ist uns das gut gelungen.
Frage: Wenn es um Wirtschaft geht, spielt die Debatte auf dem Center Court der FDP, sagt Ihr Parteichef gerne. Deutschland stagniert, steht vor einem zweiten Rezessionsjahr, aber die Liberalen profitieren gar nicht. Was macht Ihre Partei falsch?
Dürr: Wir müssen unter Beweis stellen, dass die Wirtschaftswende jetzt kommt. Die Maßnahmen liegen ja auf dem Tisch, aber sie müssen beschlossen werden. Unsere Substanz im Land, von der Fachkräfteausbildung bis zum angesparten Kapital, ist noch immer großartig. Wenn ich mit Mittelständlern spreche, klagen die vor allem über Bürokratie, die in neun von zehn Fällen aus Europa kommt. Wenn wir die schleifen, bin ich überzeugt, dass wir Wachstumsraten wie in Amerika erreichen können.
Frage: Vielleicht nehmen Ihre Stammwähler Ihnen auch einfach nur übel, dass sie mir Robert Habeck regieren.
Dürr: Ja, das ist so. Und manche Äußerung von ihm war, sagen wir, unglücklich. Aber 2021 waren nicht so viele Optionen für eine Regierungsbildung vorhanden, die Union war regierungsunfähig. Unsere Bilanz kann sich dennoch sehen lassen: Der Hebel ist noch nicht ganz umgelegt, aber halb. Nun packen wir ihn nochmal an.
Frage: Bitte vervollständigen Sie die Sätze: Mit SPD und Grünen regiere ich gerne weiter, wenn…
Dürr: …über so etwas mache ich mir gerade wirklich keine Gedanken.
Frage: Christian Lindner wird nach der nächsten Bundestagswahl…
Dürr: …wenn es nach mir ginge Bundeskanzler. Kleiner Scherz.
Frage: Den bringen wir.
Dürr: Im Ernst: Ein Finanzminister, der die verkorkste Finanzpolitik der Großen Koalition repariert hat, die Schuldenbremse einhält und den deutschen Schuldenstand senkt, kann auf seine Bilanz stolz sein.
Frage: Der Vorstand der Grünen ist nach den Wahlniederlagen jetzt zurückgetreten. Muss nicht auch die FDP personelle Konsequenzen ziehen?
Dürr: Nein, denn wir haben einen klaren inhaltlichen Kompass. Meine Erwartung an eine neue Grünen-Spitze ist, dass wir die Themen Migration und Wirtschaft jetzt gemeinsam anpacken.