Christian Dürr: Der Küchentisch-Philosoph ist mit seinen „Habeckonomics“ gescheitert
Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Christian Dürr MdB, schrieb für „Focus online“ den folgenden Gastbeitrag:
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Seit fünf Jahren stagniert die deutsche Wirtschaft, seit 2017 produziert die Industrie immer weniger. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck korrigierte seine Wachstumsprognose für das Jahr 2025 von 1,1 Prozent auf nur noch 0,3 Prozent. Der Bundesverband der Deutschen Industrie geht mit minus 0,1 Prozent sogar von einem weiteren Rezessionsjahr aus. Wir befinden uns in der längsten Stagnation in 75 Jahren Bundesrepublik Deutschland. Bei einer Fortsetzung der bisherigen Wirtschaftspolitik, den „Habeckonomics“, sind die Aussichten kaum besser, denn das Produktivitätswachstum dürfte, wenn sich nichts ändert, bis Ende des Jahrzehnts nur etwa halb so hoch liegen wie im vergangenen Jahrzehnt. Doch: Alles lässt sich ändern.
Das ausbleibende Wachstum hat Konsequenzen für die breite Mitte der Gesellschaft: Nicht nur werden immer mehr einst sichere Industriearbeitsplätze verlagert oder gestrichen. Auch sind die Löhne seit Ausbruch der Corona-Krise im März 2020 hinter der Inflation zurückgeblieben, auch wenn sie 2024 erstmals wieder spürbar über der Inflation lagen. Insgesamt sind die Reallöhne heute niedriger als 2019. Zugleich sind zum Jahreswechsel wegen jahrelanger Reformverweigerung von SPD und Grünen die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in kaum gekanntem Ausmaß gestiegen. Weitere Erhöhungen sind absehbar, denn wenn die Reallöhne nicht steigen, muss von jedem verdienten Euro mehr abgegeben werden, um den Sozialstaat zu finanzieren. Zusätzlich droht mit Robert Habeck eine Beitragserhebung auf Kapitalerträge – ein Vorschlag, dessen verheerende Wirkung auf die Altersvorsorge dem Urheber weiterhin unverständlich geblieben ist. Das Beispiel zeigt: Wachstum und höhere Reallöhne, nicht höhere Abgaben, wären die Lösung.
Doch woher rührt die jahrelange Stagnation? Die Antwort Habecks lässt sich so auf den Punkt bringen: Die restriktive Fiskalpolitik des vormaligen Bundesfinanzministers Christian Lindner sei schuld. Mehr Schulden würden zu mehr Wachstum führen und Deutschland aus der Misere befreien. Für einen sich reflektiert gebenden Küchentisch-Philosophen wie Robert Habeck ist diese Erklärung erstaunlich denkfaul. Sie klammert sich an eine global bereits fundamental gescheiterte Staatsgläubigkeit, die wir uns nicht mehr länger leisten können.
Der wirtschaftspolitische Ansatz der „Habeckonomics“ lässt sich vereinfacht in fünf Schritten beschreiben:
(1) Der Staat setzt Wirtschaft und Bürgern detaillierte jährliche Planziele für Wohnungen, Elektroautos und vieles mehr.
(2) Zur Erreichung dieser Ziele erlässt der Staat zig bürokratische Auflagen und Verbote (Habeck sagte im September 2024: Er habe „so viele Gesetze, Verordnungen, europäische Verordnungen und so weiter umgesetzt, um das ganze Land wieder in Fahrt zu bringen“, wie kein Wirtschaftsminister vor ihm).
(3) Zur Kontrolle der vielen Regeln stellt der Staat massenhaft neue Beamte ein.
(4) Zum Ausgleich der Kosten, die durch Bürokratie entstehen, lobt der Staat milliardenschwere Subventionen aus.
(5) Die zur Finanzierung der Subventionen erforderlichen Steuern belasten Betriebe und Privathaushalte, weshalb der Staat angeblich dringend höhere Schulden machen muss. Deshalb laufen sämtliche politische Vorschläge Habecks auf die Forderung nach zusätzlicher Verschuldung hinaus. Noch prägnanter hat die Denkweise hinter dieser Politik einmal der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan zusammengefasst: „If it moves, tax it. If it keeps moving, regulate it. And if it stops moving, subsidize it.”
Die Folgen der „Habeckonomics“, hätte Christian Lindner in der Regierung nicht drei Jahre lang entschieden Widerstand geleistet, hätten schlicht den Bundeshaushalt gesprengt. Trotz rekordhoher Steuereinnahmen war der Wirtschaftsminister bis zuletzt nicht zur dringend notwendigen Senkung der Körperschaftsteuer und der Abschaffung des Soli bereit – denn dann wäre kein Spielgeld mehr für weitere industriepolitische Lenkung, verbunden mit belohnenden Subventionen, verfügbar gewesen. Doch diese Subventionen hätten selbst keine wirtschaftliche Dynamik entfacht, da sie nur Kompensation für die Regulierungen gewesen wären, die den Unternehmen zuvor auferlegt wurden. Auch wenn Christian Lindners Wirtschaftswende-Papier ihn letztlich sein Amt als Bundesfinanzminister gekostet hat, war der darin vorgeschlagene Richtungswechsel von Subventionen zu breit angelegten Steuersenkungen zweifellos richtig, wie zahllose Ökonomen und Wirtschaftsvertreter bestätigt haben.
Ein weiteres konstitutives Element der Habeckonomics ist eine ideologische Energiepolitik, die zu abnehmender Zuverlässigkeit und hohen Preisen führt. All das führt zu einem hektischen, aktivistischen Interventionismus, der das Vertrauen privater Investoren in unseren Standort binnen weniger Jahre erodieren lassen hat. Der Index der wirtschaftspolitischen Unsicherheit hat für Deutschland jüngst einen Rekordwert erreicht, höher als in der Corona-Krise oder nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Die Folge ist eine massive Investitionszurückhaltung: Deutschland hat in den vergangenen Jahren Rekordabflüsse an ausländischen Direktinvestitionen zu verzeichnen, was auf eine schleichende Deindustrialisierung hindeutet. Fast 90 Prozent der Investitionen kommen aber nicht vom Staat, sondern aus der Privatwirtschaft. So hohe Schulden kann Deutschland gar nicht aufnehmen, um die ausbleibenden privaten Investitionen auch nur annähernd auszugleichen.
Das größte Problem für die verschuldungsaffine Wirtschaftspolitik Robert Habecks ist deshalb gar nicht die Schuldenbremse; es sind auch nicht die europäischen Fiskalregeln, die selbst bei einem Schleifen der Schuldenbremse kaum zusätzlichen Spielraum erlauben würden. Nein, das Hauptproblem ist die planwirtschaftliche Detailsteuerung mit ihren zahlreichen Regeln und Interventionen. Sie macht das Gründen, Erfinden und Produzieren teurer und komplexer und dadurch immer unwirtschaftlicher. Und das auf dem Kontinent, der schon vor 20 Jahren als weltweiter Pionier einen innovativen CO2-Emissionshandel eingeführt hat, wodurch sämtliche bürokratische Klimaschutz-Regulierungen überflüssig geworden sind. Innerhalb dieses immer strikter durchregulierten Ordnungsrahmens würden schuldenfinanzierte Subventionen vor allem die Preise weiter in die Höhe treiben – also die Inflation anheizen. Der auf stabile Staatsfinanzen abzielende ordnungspolitische Ansatz der FDP wirkte dem entgegen, sodass die Inflationsrate von 8,7 Prozent im Februar 2023 bis auf 1,6 Prozent im September 2024 sank. Ein stabiler, langsam sinkender öffentlicher Schuldenstand ist die beste Inflationsbekämpfung, stärkt Deutschlands Position als „sicherer Hafen“ an den internationalen Anleihemärkten und gibt uns die Möglichkeit, den daraus erwachsenden Zinsvorteil für Investitionen in staatliche Kernaufgaben zu nutzen – wie Bildung, Infrastruktur und Sicherheit.
Die Inflation gehört zu den Themen, die die Menschen in Deutschland am meisten beschäftigen. Deshalb ist es für den inneren Frieden unseres Landes von kaum zu unterschätzender Bedeutung, dass wir den Verlockungen schuldenfinanzierter Konjunkturstrohfeuer widerstehen und am stabilitätsorientierten Kurs der Sozialen Marktwirtschaft festhalten – dem Erfolgsrezept hinter dem Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er Jahre. Zumal der Verzicht auf ausufernde Subventionen nicht nur Spielraum für Steuersenkungen schafft: Auch teure Subventionsdebakel wie bei der geplanten Fabrik des insolventen schwedischen Batterieherstellers Northvolt bleiben den Steuerzahlern erspart. Dagegen ist ein umfassender Bürokratieabbau ein kosten- und risikoloses Konjunkturprogramm.
Nach einer Amtsperiode Robert Habecks als Bundeswirtschaftsminister lässt sich festhalten: Die „Habeckonomics“ sind ein dirigistischer Ansatz planwirtschaftlicher Industriepolitik, der nur funktioniert, wenn man seine inneren Widersprüche mit schuldenfinanzierten Ausgaben oder neuen Abgaben kaschiert. Genau das schlägt ihr Namensgeber daher in Dauerschleife vor. Bei näherer Betrachtung ist das nichts anderes als das Eingeständnis des Scheiterns Habecks als Wirtschaftspolitiker. Das Gute ist: Alles lässt sich ändern. Für den Anfang brauchen wir einen Wechsel auf dem Posten des Wirtschaftsministers.