Christian Dürr: Ein Heizungsverbot ist vom Tisch
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab ZEIT online das folgende Interview. Die Fragen stellten Lisa Caspari und Michael Schlieben:
Frage: Herr Dürr, Sie waren bei den 30-Stunden-Verhandlungen im Kanzleramt mit dabei. Wann war Ihr persönlicher Tiefpunkt?
Christian Dürr: Das war bei mir am Montagmorgen so um sieben oder um acht. Nachdem ich mich ganz klassisch mit Kaffee und einem kleinen Frühstück aufgeputscht hatte, ging es dann aber schon wieder. Ich bin durchaus ein Nachtmensch, insofern stecke ich sowas ganz gut weg.
Frage: Ein Nickerchen war nicht drin?
Dürr: Nee, hinlegen kann man sich im Kanzleramt nicht wirklich. Der ein oder andere hat mal die Augen zugemacht, aber das war dann im Sitzen. Entscheidend ist: All das hat sich gelohnt. Man kann bei Konflikten ja auf zwei Arten vorgehen: Man kaschiert sie oder man bespricht sie und löst sie auf. Wir haben uns für Letzteres entschieden und eines der größten Modernisierungsprojekte für Deutschland zusammengestellt. Das ist dann auch mal 31 Stunden wert.
Frage: Nach dem Koalitionsausschuss sieht es so aus, als hätte sich Ihre Partei überdurchschnittlich durchgesetzt. Die Grünen ihrerseits sagen selbst, beim Klimaschutz hätten sie nicht genug erreicht. Fühlen Sie sich als Gewinner der Woche?
Dürr: In diesen Kategorien denke ich nicht, wichtig ist doch, dass sich das Richtige durchsetzt. Wir wollen das Land voranbringen, Deutschland ist in der Vergangenheit viel zu langsam gewesen, viel zu bürokratisch, was auch ein Ergebnis der Politik der Großen Koalition ist. Die Grünen haben manch schwierigen Kompromiss geschlossen, das stimmt, das müssen sie nun in ihren eigenen Reihen diskutieren. Aber ich rate dringend dazu, die Kompromisse nicht wieder aufzumachen. Unser gemeinsames Ziel in der Ampel-Koalition ist, den Aufbruch hin zu Klimaneutralität zu schaffen und zugleich wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben.
Frage: In der Koalition scheinen Sie die Rollen gewechselt zu haben: Die Grünen fremdeln jetzt mit der Ampel. Die FDP hingegen sieht sich als Vertreter der Mehrheit der Menschen, die „pragmatischen Klimaschutz“ wollen.
Dürr: In der Vergangenheit war die deutsche Klimaschutzpolitik sehr planwirtschaftlich organisiert. Es wurden viele Ziele und Vorgaben definiert, aber dann ist wenig passiert. Nehmen Sie die Sektorziele bei der CO2-Reduzierung. Die haben nicht funktioniert und wurden nicht eingehalten. Anstelle dessen wählen wir jetzt einen pragmatischen und marktwirtschaftlicheren Ansatz. Viele Menschen wollen einen solchen Zugang zum Klimaschutz ohne Verbotsorgien, das hat zuletzt auch die Ablehnung des Volksentscheids in Berlin gezeigt. Der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands beruht ja nicht darauf, dass man möglichst viele Technologien verboten hat, sondern dass man Innovationen gegenüber grundsätzlich offen war. Die Innovationskraft des Landes abzuwürgen wäre falsch, denn gerade sie wird uns beim Klimaschutz voranbringen. Ich glaube, da denken viele so wie wir.
Frage: Sie meinen, da dreht sich gerade die Stimmung in der Gesellschaft?
Dürr: In der Gesellschaft hat sich definitiv etwas geändert, vielleicht auch wegen der dramatischen Energiesituation, die wir in den vergangenen Monaten hatten. Früher hieß es immer schnell: Der FDP ist das Klima egal. Das war immer Quatsch. Aber jetzt beschäftigen sich die Menschen konkret damit, was Klimaschutz für sie ganz persönlich bedeutet. Wie teuer wird das? Wie praktikabel? Und dann fragen sie sich genau wie die FDP zum Beispiel bei der Diskussion um die E-Fuels und das Verbrenner-Aus: Warum sollte man eine Technologie verbieten, die klimaneutral ist? Warum soll man Heizungen verbieten, die in Zukunft Wasserstoff verbrennen können, der klimaneutral ist?
Frage: Aber das von Ihnen so kritisierte Verbot neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 gilt weiter, oder? Zumindest haben wir Robert Habeck so verstanden.
Dürr: Nein, ein Verbot ist vom Tisch. Das Ziel der Ampel-Koalition ist, dass in deutschen Wohnungen künftig nur noch klimaneutrale Heizungen laufen. Aber wir wollen nicht mit rigiden Verboten arbeiten. Wir haben im Koalitionsausschuss festgehalten, dass wir technologieoffen sein wollen, es wird also künftig Alternativen zur Wärmepumpe geben. Es gibt nun mal schlecht gedämmte Häuser, in denen Wärmepumpen einfach keinen Sinn machen, weil dann die Stromkosten stark ansteigen – in meiner Heimat Ganderkesee zum Beispiel ist das oft der Fall. Und man kann doch niemandem zumuten, eine Wärmepumpe zu kaufen und Unmengen an Geld in den Umbau des Hauses zu stecken, damit man sie betreiben kann. Die meisten Menschen können sich das nicht leisten. Wir erwarten daher, dass sich die Möglichkeit zu klimaneutralen Alternativen auch im Gesetzentwurf widerspiegelt, der bis Ende April kommen soll.
Frage: Auch für den Ausbau von Autobahnen haben Sie bis zuletzt gekämpft, bei 144 Straßenbauprojekten soll es nun mit Hochdruck vorangehen. Ist der Individualverkehr, sind Autobahnen wirklich der Mobilitätsträger der Zukunft?
Dürr: Fakt ist, dass das Auto im ländlichen Raum – wo 60 Prozent der Menschen wohnen und wo auch ich lebe – auf Jahre hinweg unverzichtbar sein wird. Kein Politiker kann jedem Deutschen einen U-Bahn-Anschluss versprechen, und es wird auch nicht an jeder Straßenkreuzung eine Bushaltestelle geben. Ich finde es schwierig, wenn von Berlin-Mitte aus ein Mobilitätsverhalten vorgegeben wird, an das sich 84 Millionen Menschen in Deutschland halten sollen. Es geht darum, Klimaschutz und individuelle Mobilität miteinander zu verbinden. Wer das noch als Widerspruch sieht, ist ein bisschen Neunziger, ehrlich.
Frage: Freiheit geht im ländlichen Raum also nur mit Auto?
Dürr: Individuelle Mobilität ist eine Form der Freiheit, ja. Wobei das natürlich nicht heißt, dass wir alle Freiheit haben, das Klima zu belasten. Wir müssen den Menschen die Möglichkeit geben, klimaneutral mobil zu sein. Aber es geht auch um Wachstum: In meinem Wahlkreis wird jetzt die A 20 aufgrund unserer Änderungen im Naturschutzrecht schneller gebaut werden können. Sie schafft eine Ost-West-Verbindung von Mecklenburg-Vorpommern über die Elbe und Weser. Was das wirtschaftlich bedeutet, haben wir bei der A 31 gesehen. Das hat unglaubliches Wachstum im Emsland erzeugt, das früher als Armenhaus der Republik galt und heute eine boomende Region mit Vollbeschäftigung ist. Da zeigt sich: Infrastrukturausbau verändert das Leben der Menschen zum Besseren.
Frage: Fahren Sie eigentlich Porsche?
Dürr: Nein, ich fahre ein Hybridauto. Aber ich habe nichts gegen Leute, die Porsche fahren.
Frage: Ärgert Sie das Porsche-Stigma Ihrer Partei?
Dürr: Ich sehe dieses Porsche-Stigma nicht. Menschen, die rational auf Politik schauen, scheren sich doch nicht um die Frage, ob einer Porsche fährt oder nicht. Der von uns Liberalen hochgeachtete Wert von Freiheit hat übrigens auch nichts mit irgendeiner Marke zu tun. Was uns aber grundsätzlich stört, ist, wenn man Dinge verbieten will. Die FDP ist keine Verbotspartei.
Frage: Aber eine Dagegen-Partei, oder? Dieses Image haftet Ihnen an, seit Sie in der Ampel regieren.
Dürr: Wenn Sie so wollen, sind wir eine Gegen-Verbote-Partei. Sind wir deswegen eine Dagegen- oder eine Dafür-Partei? Es ist immer eine Frage der Perspektive. Wir sind gegen Verbote und fürs Ermöglichen. Vielleicht hat es ein bisschen gebraucht in der Wahrnehmung, aber seit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses ist klar: Die FDP ist das Speedboot in der Ampel-Koalition, das das Land voranbringt.
Frage: Na ja, beim Verbrenner-Aus waren Sie statt Speedboot eher der große Bremser. Manche Dinge verkomplizieren Sie auch. Von den Koalitionspartnern ist zu hören, dass Absprachen mit Ihnen oft sehr lange dauern und äußerst kleinteilig sein müssen, bis sie Bestand haben. Aber dass sie dann auch Bestand haben.
Dürr: Ja, das kann ich bestätigen. Aber ich würde es als konkrete Politik bezeichnen. Uns geht es darum, Dinge zu konkretisieren und den Menschen klar zu sagen, wie wir etwas umsetzen wollen. Wenn man Dinge allgemein verabredet, kann schnell etwas herauskommen, was man gar nicht meinte.
Frage: „Auf der Brücke“ des Speedboots steht Christian Lindner, um den früheren Parteichef Guido Westerwelle zu zitieren. Seit zehn Jahren schon. Wird es nicht langsam Zeit, einen Nachfolger aufzubauen?
Dürr: Nein. Christian Lindner wird auf unserem Parteitag im April mit sehr gutem Ergebnis wiedergewählt werden.
Frage: Warum steht er innerparteilich so unangefochten dar, obwohl die FDP in fünf Landtagswahlen hintereinander so schlecht abgeschnitten hat?
Dürr: Weil Christian Lindner es einfach richtig macht. Wenn man jemanden an der Spitze hat, der die FDP wieder in den Bundestag und vier Jahre später sogar in Regierungsverantwortung geführt hat, der nach zehn Jahren noch voller Ideen ist und auf die richtigen Themen setzt, ist das ein Grund, sich zu freuen.
Frage: Sie persönlich legen sich ja rhetorisch auch gerne ins Zeug, gerade wenn es darum geht, die Union zu attackieren. Was ärgert Sie so an der Partei, die Ihnen eigentlich viel näher sein müsste als Ihre Koalitionspartner?
Dürr: Die unberechtigten Vorwürfe. Wir machen nicht alles richtig, auch nicht als FDP. Aber die absurden und unehrlichen Vorwürfe der Union bringen mich auf die Palme. Dieser Koalition ist noch vor einigen Wochen vorgehalten worden, wir würden Klimaschutz über alles stellen, auch über den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands. Nach dem Beschluss des Koalitionsausschusses behauptet die Union nun das komplette Gegenteil, jetzt versündigen wir uns plötzlich am Klima. Die Union hat sich also erst rechts der Ampel positioniert – jetzt links der Ampel. Da habe ich oft den Eindruck: Ihr geht es nicht wirklich um die Sache, sondern nur um Taktik. Wie bei Markus Söder: Der hat mal das Verbrenner-Aus und die Abschaltung aller Kernkraftwerke gefordert, danach das Gegenteil.
Frage: Aber die Union steht in den Umfragen gut da, sogar Söder.
Dürr: Das mag sein. Dennoch darf ich es anprangern. Und ob etwas mehr als 25 Prozent für die Union schon ein Grund zum Jubeln sein sollten, weiß ich auch nicht.
Frage: Halten Sie Friedrich Merz für weniger opportunistisch als Markus Söder?
Dürr: Ja, ich glaube, dass Herr Merz Überzeugungen hat. Er liegt meiner Meinung nach in seinen Bewertungen nicht immer richtig. Das ist legitim, ich würde mich aber über mehr konkrete Vorschläge der Union freuen. Bisher ist mir auch Merz‘ Botschaft oft zu einfach: Die Ampel macht alles falsch.
Frage: Sie haben in Niedersachsen zehn Jahre mit der CDU regiert. Halten Sie trotz Ampel weiterhin Kontakt zur Union, zum Beispiel in der sogenannten Kartoffelküche, einem schwarz-gelben Gesprächskreis?
Dürr: Ich berichte nicht aus Hintergrundkreisen, aber es ist bekannt, dass es diesen Kreis gibt und dass ich dem weiterhin angehöre.
Frage: Das Band der FDP zur Union ist also nicht zerschnitten?
Dürr: Nein, das würde ich nicht so sehen. Ich pflege da nach wie vor einen guten Austausch. Die Union ist eine Partei, die viele Jahre das Land regiert und entsprechend geprägt hat. Aber wir sind eben nicht immer einer Meinung. Das waren wir schon in der Regierung von 2009 bis 2013 nicht. Vieles, was jetzt in der Ampel möglich ist, war damals mit der Union nicht zu machen.
Frage: Aber Schwarz-Gelb oder Jamaika würden Sie 2025 nicht ausschließen?
Dürr: Ich denke jetzt nicht in Wahlkampfkategorien, mich treibt um, wie wir das Land gestalten können. Aber eine Regierung regiert das Land, um wiedergewählt zu werden. Das ist doch klar.