Christian Dürr: Investitionen in Sicherheit hängen nicht von der Schuldenbremse ab
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab „rnd.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Daniela Vates.
Frage: Herr Dürr, die FDP hat das Rentenpaket II – mit einer Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 Prozent und einem Einstieg in die Aktienrente – zunächst gefeiert, dann mehrfach verhindert, dass es im Kabinett beschlossen wird. Nun versichert Parteichef Christian Lindner, der Beschluss erfolge noch im Mai. Wie sehr kann man auf diese Zusage vertrauen?
Dürr: Es gilt, was wir in der Koalition vereinbart haben. Das gesamte Bundeskabinett hat sich auf einen Finanzplan für 2025 geeinigt – aber ein Drittel der Bundesminister hält sich bisher nicht daran. Und wir haben uns darauf verständigt, dass in dem Zusammenhang auch das Rentenpaket im Kabinett besprochen wird.
Frage: Das heißt, wenn bis Ende Mai keine Haushaltseinigung vorliegt, dann gibt es auch kein Rentenpaket?
Dürr: Alle Seiten haben Zusagen gemacht und die Erwartung ist, dass sich alle Seiten daran halten – auch die Außenministerin und der Arbeitsminister.
Frage: Warum blockieren Sie die Rentenreform, bloß weil sie mit den Haushaltsforderungen des zuständigen Ministers Hubertus Heil nicht zufrieden sind?
Dürr: Der FDP ist es wichtig, nicht in Wahlperioden zu denken. Die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland müssen Gewissheit haben, dass ihre Rente in Zukunft sicher ist. Genauso müssen die Arbeitnehmer mit ihren monatlichen Rentenbeiträgen die Sicherheit haben, dass sie nicht stärker belastet werden. Alle Koalitionspartner sind sich einig, dass die Sozialabgaben nicht noch weiter steigen dürfen. Die Rente muss also in sich solide finanziert sein. Und dafür muss auch der Haushalt ein gutes Fundament haben. Schließlich wird daraus der Bundeszuschuss gezahlt. Und es ist auch deswegen nicht gut für die Rente, wenn ein Haushalt marode ist, weil das der Wirtschaftsentwicklung schadet.
Frage: Die FDP hat auf ihrem Parteitag beschlossen, das Rentenpaket nur passieren zu lassen, wenn weitere rentenpolitische Maßnahmen beschlossen werden. Was muss auf jeden Fall noch oben drauf kommen?
Dürr: Wir müssen die Erwerbsbeteiligung von Älteren stärken. Da ist mehr machbar. Schweden ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Dort ist der Renteneintritt flexibel – mit dem Ergebnis, dass Menschen freiwillig länger arbeiten. Dieses starre Festhalten an Renteneintrittsdaten habe ich immer für falsch gehalten, weil Lebensentwürfe unterschiedlich sind. Man sollte Menschen nicht aus dem Arbeitsleben herauszwingen. Das ist ein Punkt, über den wir in der Koalition reden sollten.
Frage: Sollte es weiter die Möglichkeit geben, nach 45 Arbeitsjahren ohne Abschläge bei der Rente in Ruhestand zu gehen?
Dürr: Es muss klar sein, dass jemand, der länger arbeitet, im Ruhestand mehr hat, als jemand, der kürzer arbeitet. Denkbar sind dabei auch Aufschläge. Darüber müssen wir diskutieren.
Frage: Mit dem Generationenkapital wird ein Teil der Rente über Investitionen in Aktien finanziert. Wie ist das gegen Kursverluste abgesichert?
Dürr: Eine solche Absicherung ist nicht nötig. Länder wie Schweden zeigen seit vielen Jahrzehnten, dass dieses Modell gut funktioniert. Es hat mehrere Börsenkrisen überstanden. Das Geld wird so breit angelegt, dass einzelne Kursverluste nicht ins Gewicht fallen. Und die Renten sind dort höher als bei uns.
Frage: Was ist bei der nächsten Finanzkrise?
Dürr: In dem Fall bekommt auch die beitragsfinanzierte Rente Probleme, weil bei Massenarbeitslosigkeit die Zahl der Beitragszahler sinkt. Die kapitalgedeckte Rente ist dann sogar sicherer, weil sie ihre Verluste über die Jahre wettmachen kann.
Frage: Ist das Generationenkapital gut, wie es geplant ist – oder müsste man noch etwas draufsatteln?
Dürr: Der erste Schritt zur Aktienrente ist der allerwichtigste. Weitere Schritte, wie die Möglichkeit, individuelle Beiträge zu leisten, sollten wir ins Auge fassen.
Frage: Also nicht mehr unbedingt in dieser Wahlperiode?
Dürr: Wichtig ist jetzt der erste Schritt!
Frage: Wie weit sind eigentlich die Ampelgespräche für eine Wirtschaftswende? Packen Sie Rentenreform und Bürokratieabbaugesetz zusammen und machen nochmal eine extra Schleife dran oder kommt noch etwas Neues?
Dürr: Da wird ganz viel Neues drin sein müssen. Wir beschließen heute im Bundestag ein Bürokratieabbaugesetz – das ist ein kostenloses Konjunkturprogramm. Dieser Wirtschaftsturbo kann gerne noch größer werden. Zum Beispiel lässt sich die Digitalisierung von Arbeitsverträgen ergänzen. Nach der Europawahl muss auch in der EU eine Bürokratiewende her. Für die Wirtschaftswende müssen wir außerdem das Arbeitsvolumen in Deutschland vergrößern. Dazu müssen wir die Fachkräfteeinwanderung weiter vereinfachen. Wer einen Arbeitsplatz in Deutschland bekommt, hinter dem ja Wachstum und Wertschöpfung stehen, muss innerhalb weniger Tage ein Visum erhalten können. Und wir müssen mehr Menschen von der Grundsicherung in Arbeit bringen. Dazu sollten wir die Hinzuverdienstgrenzen ändern, so wie wir es für Auszubildende bereits getan haben. Wenn von einem Zuverdienst 70 bis 80 Prozent angerechnet werden, ist es nicht attraktiv zu arbeiten. Das sollten wir in dieser Wahlperiode noch anpacken. Nicht zuletzt müssen wir uns auch die Belastungssituation im steuerlichen Bereich anschauen. Der Soli ist mittlerweile eine reine Wirtschaftssteuer geworden.
Frage: Gezahlt wird er noch von Spitzenverdienern und von Kapitalgesellschaften.
Dürr: Richtig. Er ist eine Belastung von Unternehmen. Wir sollten ihn in mehreren Schritten abschaffen.
Frage: Das wäre ein Einnahmeverlust von 12 Milliarden Euro für den Staat.
Dürr: Wenn wir das in Stufen machen, ist es verkraftbar. Und es wird durch die Entlastung ja auch wirtschaftliche Dynamik entfacht – dann sprudeln auch die Einnahmen wieder.
Frage: Die oberen Einkommen entlasten und gleichzeitig über Kürzungen im Sozialhaushalt diskutieren. Ist das ein gutes Signal?
Dürr: Den Menschen, die es schwerer im Leben haben, geht es dann schlecht, wenn es dem Land wirtschaftlich schlecht geht. Sie profitieren von wirtschaftlicher Dynamik und niedriger Inflation. Deswegen halten wir übrigens auch an der Schuldenbremse fest: Die Haushaltsdisziplin hat dazu beigetragen, dass die Inflationsrate gesunken ist.
Frage: Der Haushalt ist ein gutes Stichwort: Verteidigungsminister Boris Pistorius will, dass die Ausgaben für Sicherheit aus der Schuldenbremse ausgenommen werden – weil der Krieg Russlands gegen die Ukraine eine Sondersituation ist. Weil die FDP dazu bisher nein sagt, ist Pistorius in einem Koalitionstreffen wohl einigermaßen pampig geworden. Verlangt er zu viel Geld? Oder was wäre Ihr Finanzierungsvorschlag?
Dürr: Ich will daran erinnern, dass wir aus genau diesem Grund ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht haben, das noch nicht aufgebraucht ist. Bundesfinanzminister Lindner hat deutlich gemacht, dass wir ab 2028, wenn wir den Pfad der Konsolidierung heute weiter beschreiten, mehr Spielräume für Verteidigungsausgaben haben. Investitionen in unsere Sicherheit hängen nicht von der Schuldenbremse ab, sondern von politischen Prioritäten.
Frage: Bundeskanzler Olaf Scholz hat gerade wieder die lautstarke Streiterei in der Koalition kritisiert. Treten Sie mal auf die Bremse?
Dürr: Vorgängerregierungen haben vielleicht weniger gestritten, aber sie haben das alles mit dem Geld der Steuerzahler bezahlt. Das machen wir anders. Und das führt natürlich zu manchen politischen Diskussionen. Das ist zwar anstrengender, aber es ist viel verantwortungsvoller. Wir bringen wichtige Reformen auf den Weg, die das Land voranbringen, statt Probleme mit Geld zuzuschütten.
Frage: Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat entschieden, dass der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen darf. Thüringens AfD-Chef Bernd Höcke wurde wegen des Verwendens einer SA-Parole zu einer Geldstrafe verurteilt. Sehen Sie die Grundlage für ein Verbotsverfahren gegen die AfD?
Dürr: Wir sollten nicht über Verbotsverfahren reden, sondern uns darüber freuen, wie wehrhaft unsere Demokratie ist und welche Zähne sie hat. Die aktuellen Urteile zeigen, dass das Rechtssystem funktioniert und dass sich die Demokratie gegen ihre Feinde verteidigen kann. Wir sollten der AfD nicht mit einem Verbotsverfahren einen Vorwand für Mythenbildung geben. Die Partei schadet Deutschland. Sie ist rassistisch, antipatriotisch und ein außen- und verteidigungspolitisches Sicherheitsrisiko. Die Umsetzung ihrer Vorstellungen würde den wirtschaftlichen Niedergang bedeuten. Sie muss deswegen politisch bekämpft werden. Das tun wir.