Christian Dürr: Wir müssen ein modernes Einwanderungsland werden

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Bild am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) und „bild.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Roman Eichinger und Burkhard Uhlenbroich.

Christian Dürr MdB

Frage: Herr Dürr, die Ampelkoalition sollte konstruktiv und fortschrittlich sein. Für die FDP ist sie aber mit Umfragewerten aktuell zwischen 5 und 7 Prozent eher zerstörerisch. Wann steigen die Liberalen aus?

Dürr: Der Gradmesser sind nicht Umfragewerte, sondern, ob es uns gelingt, Deutschland zu modernisieren. Und da stehen wir sehr gut da: Wir haben Planungsvorhaben beschleunigt, etwa bei den LNG-Terminals, und wir entlasten die hart arbeitende Mitte um insgesamt 50 Milliarden Euro.

Frage: Gilt die Beschleunigung auch für neue Autobahnen und Wasserstraßen?

Dürr: Wir wollen die Planungs- und Genehmigungszeiten halbieren. Das gilt auch für Straßen, denn niemand hat mehr Lust auf jahrelanges Baustellen-Chaos beim Bau oder der Sanierung einer Autobahn. Volker Wissing hat als Verkehrsminister einen Vorschlag gemacht. Es würde mich wundern, wenn die Grünen da nicht mitgehen, schließlich haben wir das im Koalitionsvertrag vereinbart.

Frage: Mögen viele FDP-Wähler diese Koalition nicht, weil sie ihnen zu links ist?

Dürr: Es ist doch nicht links, die Steuerzahler zu entlasten und die Schuldenbremse einzuhalten. Das hätte es mit der Großen Koalition in einer solchen Krise niemals gegeben.

Frage: Die Ampel-Streitliste ist lang: Sie sind gegen schnellere Einbürgerungen, kritisieren die Arbeit der Verteidigungsministerin, wollen eine strengere Migrationspolitik, sind für Atomkraft bis 2024 und gegen Steuererhöhungen. Ziemlich viel Sprengstoff.

Dürr: Steuererhöhungen wären Gift für unser Land. Wir werden davon keinen Millimeter abrücken. Bei der Migrationspolitik müssen wir noch liefern. Da ist in den vergangenen Jahrzehnten verdammt viel falsch gelaufen in Deutschland.

Frage: Was meinen Sie?

Dürr: Solange die Union regiert hat, gab es Zuwanderung vor allem in unser Sozialsystem. Derzeit kommen 90 Prozent der Zuwanderer von außerhalb der EU über das Asylsystem nach Deutschland, weil es über das Einwanderungssystem kaum möglich ist. Menschen werden vom Arbeiten abgehalten. Das muss sich ändern. Denn der Wohlstand Deutschlands hängt geradezu schicksalhaft davon ab, ob es uns gelingt, Einwanderung in den Arbeitsmarkt zu organisieren. Kurz: Wir müssen ein modernes Einwanderungsland werden.

Frage: Muss es mehr Rückführungen von Menschen ohne Bleiberecht geben?

Dürr: Das haben wir uns auf die Fahnen geschrieben. Wer hier gegen Recht und Gesetz verstößt, hat in Deutschland keine Perspektive. Derzeit dauern die Asylverfahren und Rückführungen viel zu lange. Es kann nicht sein, dass das oft an Zuständigkeitsfragen zwischen Bund und Ländern scheitert. Hier braucht die Bundespolizei mehr Rechte, um abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. Auch das gehört zu einem modernen Einwanderungsland dazu.

Frage: Zeigt auch die furchtbare Ermordung eines Mädchens durch einen Flüchtling aus Eritrea, was in der Asylpolitik schiefläuft?

Dürr: Hier hat ein Mörder ein Kind getötet. Das muss bestraft werden, unabhängig von seiner Herkunft. Inwieweit dieser schreckliche Fall mit einer verfehlten Migrationspolitik zusammenhängt, ist Spekulation. Für solche Straftaten gibt es keine Ausrede. Gleichwohl müssen wir unsere Asylpolitik in den Griff kriegen. Menschen sind in die Sozialsysteme eingewandert und hängen dort jahrelang fest. Das gehört unterbunden. Ich bin dafür, diese Halb-Entscheidungen abzuschaffen: Es gibt zu viele Migranten, die nicht anerkannt sind, aber trotzdem bleiben dürfen – und das über viele Jahre.

Frage: Wie kann es sein, dass neun Monate nach Ausrufung der Zeitenwende die Bundeswehr schlechter dasteht als vor Beginn des Ukraine-Krieges?

Dürr: Die Unterstützung für die Ukraine darf keine Ausrede sein. Wir brauchen mehr Geschwindigkeit. Ich erwarte eine Modernisierung des Beschaffungswesens. Da ist seit Februar zu wenig passiert.

Frage: Liegt das an Verteidigungsministerin Lambrecht?

Dürr: Frau Lambrecht hat kein leichtes Erbe angetreten. Aber bei der Ausrüstung geht es um das Wohl und die Sicherheit unserer Soldaten. Und da erwarte ich von der Ministerin, dass es schneller vorangeht.

Frage: Die FDP lehnt Steuererhöhungen ab. Um die Erbschaftssteuer gibt es aber großen Ärger, hier sollen die Belastungen für Erben steigen: Warum wollen Sie an „Omas kleines Häuschen“ ran?

Dürr: Das jetzige System geht auf Horst Seehofer zurück. Ich bin dafür, dass die Freibeträge der Erbschaftssteuer deutlich erhöht werden. Ziel der FDP ist, dass eine Immobilie, die innerhalb der Familie vererbt wird, steuerfrei bleibt. Dazu erwarte ich zeitnah eine Initiative der Bundesländer im Bundesrat. Denn die Erbschaftssteuer kommt zu 100 Prozent den Ländern zugute.

Frage: Es wird also nachgebessert?

Dürr: Ziel muss sein, die Freibeträge an die Inflation anzugleichen und so automatisch zu erhöhen. Wir müssen in Deutschland generell zu einem neuen Steuersystem kommen. Wir brauchen einen automatisierten Steuertarif, der an die Inflation gekoppelt ist. Es darf nicht länger sein, dass der Staat von Preissteigerungen über höhere Steuereinnahmen profitiert, weil die Freibeträge gleich bleiben.