Christian Dürr: Wir sollten die Steuern an die Inflation anpassen

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab „t-online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Tim Kummert.

Christian Dürr MdB

Frage: Herr Dürr, als Sie 1995 den Jungen Liberalen beitraten, was haben Sie da gehofft?

Dürr: Dass ich etwas verändern kann.

Frage: Und?

Dürr: Das hat schon geklappt. Zunächst war ich ehrenamtlich aktiv, dann konnte ich als Landtagsabgeordneter mithelfen, dass es durch eine liberale Bildungspolitik in Niedersachsen deutlich weniger Schulabbrecher gab als unter der SPD-Regierung. Da ging es richtig vorwärts.

Frage: Im Moment verzögert die FDP eher Entscheidungen: Es gibt keine klaren Beschlüsse über weitere Corona-Maßnahmen, keine Einigung beim Klimaschutz-Sofortprogramm. Bremsen Sie eigentlich gern?

Dürr: Im Gegenteil, wir machen gern Tempo: Bei Corona wollen wir keinen erneuten flächendeckenden Lockdown. Der bringt schlicht nicht so viel, wie er gesellschaftliche Schäden verursacht. Beim Klimaschutz braucht es kluge Kompromisse, ideologisch in eine Richtung zu rennen, bringt nichts. Aber ja, dann gibt es manchmal unterschiedliche Auffassungen in der Koalition, aber das gehört dazu.

Frage: Ihre Koalitionspartner zeigen sich zunehmend genervt. Was glauben Sie, wie lange machen Grüne und SPD das noch mit?

Dürr: Wir sind keine Liebesheirat mit dieser Ampel-Koalition eingegangen, das haben wir auch immer gesagt. Wir sind drei unterschiedliche Partner und arbeiten jeden Tag daran, die besten Kompromisse zu finden. Und so kommen wir dann gemeinsam auch durch die Krise.

Frage: Mittlerweile fließt wieder ein wenig Gas durch die Pipeline Nord Stream 1. Sind Sie beruhigt?

Dürr: Nein, man kann nicht beruhigt sein, wenn man abhängig von Russland ist. Aber es ist gut, dass wir nicht von heute auf morgen völlig auf russisches Gas verzichten müssen. Trotzdem sollten wir aufpassen, dass Putin nicht mit unserer Angst vor einem völligen Gasstopp spielt. Sonst blicken wir in einen Abgrund.

Frage: Was kann man Putin noch glauben?

Dürr: Nichts. Man kann ihm nicht vertrauen, auch deshalb müssen wir unsere eigene Unabhängigkeit in der Energiepolitik steigern.

Frage: Sie haben sich bereits dafür ausgesprochen, die Laufzeit der aktiven deutschen Kernkraftwerke zu verlängern. Wann wird das kommen?

Dürr: Diese Entscheidung liegt nicht allein bei der FDP, da ist natürlich auch der Wirtschafts- und Energieminister gefragt.

Frage: Der unentschlossen scheint.

Dürr: Allerdings drängt die Zeit. Die sogenannte Reaktor-Sicherheitskommission ist ein unabhängiges Gremium, das die Bundesregierung bei Fragen zur Kernenergie berät. Nach allem, was wir hören, ist ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke gut möglich. Aber weder Wirtschaftsminister Habeck noch seine Kollegin, Umweltministerin Steffi Lemke, haben die Kommission nach ihrem Urteil gefragt! Sie wurde offenbar einfach ignoriert. Ich halte das für einen Fehler – die Konsultation der Kommission muss schnellstmöglich nachgeholt werden.

Frage: Kernenergie kann aber lediglich ein Prozent des Erdgases ersetzen.

Dürr: Diese Zahl wird jetzt permanent in den Raum geworfen, wo es gerade mal passt. Pardon, aber da muss ich mal deutlich werden: Wir lassen gerade allen Ernstes die Kohlekraftwerke länger laufen – das wollte eigentlich keiner in der Koalition! Wir brauchen die Kernkraftwerke, um zumindest ein wenig Ruhe und Unabhängigkeit für uns zu schaffen. Und auch in Zukunft brauchen wir eher mehr Strom für alle Bereiche. Und die aktuelle Krise sollte doch gelehrt haben: Wir brauchen „mehrere Eisen im Feuer“, müssen divers in der Energiepolitik aufgestellt sein.

Frage: Sind wir in einer Lage, in der man sich moralische Bedenken nicht mehr leisten kann? Die Bundesregierung schließt Energieabkommen mit Regimen im Nahen Osten, denen Menschenrechte nicht wichtig sind. Und innerhalb weniger Wochen könnte der Ausstieg vom Ausstieg aus dem Atomstrom beschlossen werden.

Dürr: Von überhöhten moralischen Ansprüchen habe ich in der Politik noch nie etwas gehalten. Aber es ist wahr: Harte Zeiten erfordern teilweise pragmatische Maßnahmen, die nicht immer jeden Goldstandard der Moral erfüllen können.

Frage: Schon jetzt ist klar, dass der Herbst und Winter sehr teuer werden. Wie wollen Sie die Bürger dann entlasten?

Dürr: Wir wollen im Herbst die kalte Progression eindämmen. Und für die Zukunft habe ich einen Reformvorschlag: Wir sollten nicht nur die Regelsätze von Sozialhilfeempfängern an die Inflation anpassen, sondern genau dasselbe mit den Steuern machen. Das nennt man „Tarif auf Rädern“.

Frage: Aber es soll keine weiteren Hilfspakete geben?

Dürr: Die beiden Entlastungspakete kommen erst jetzt richtig bei den Menschen an. Beispielsweise die rückwirkenden Steuererleichterungen, der Grundfreibetrag, die Pendlerpauschale – all das haben wir rückwirkend zum 1. Januar gesenkt.

Frage: Heißt also: Liebe Leute, es kommen noch viele Erleichterungen nachträglich, wartet bitte mal eure Steuererklärung ab.

Dürr: Nein, nein. Aber ich will sagen: Wir sind kurzfristig handlungsbereit, das haben wir schon bewiesen. Und es kommen noch Entlastungen, das stimmt. Im September wird die Energiepauschale ausgezahlt.

Frage: Können Sie sich ein Szenario vorstellen, in dem die FDP nächstes Jahr nochmal die Schuldenbremse aussetzt?

Dürr: Wir können nicht immer mehr Geld ausgeben, um die Krise zu bewältigen. Sonst treibt der Staat die Preise weiter in die Höhe und wird zum Inflationstreiber. Wenn wir auf jedes Problem sofort Geld schütten, können wir in den nächsten Jahren kaum noch etwas für Sicherheits-, Verkehrs- und Außenpolitik ausgeben. Dann zahlen wir nur noch Schulden ab.

Frage: Aber wenn die Butter demnächst 5 Euro kostet, wird das vielleicht sogar FDP-Wählern zu teuer.

Dürr: Genau deswegen heizen wir die Inflationsspirale nicht an! Jeder weiß, dass der Staat nicht einfach mit Milliardenausgaben alles wettmachen kann.

Frage: Familienministerin Paus hat bei t-online eine Erhöhung des Kindergeldes gefordert. Können Sie sich das vorstellen?

Dürr: Wir sollten nicht über einzelne Punkte breit diskutieren, solange wir kein Gesamtkonzept haben. Wir dürfen nicht immer weiter die Ausgaben erhöhen, sondern wir sollten dafür sorgen, dass der Staat den Menschen mehr Geld übrig lässt. Es gibt ja auch Forderungen, die Regelsätze für Transferempfänger zu erhöhen – und da müssen wir extrem aufpassen. Darf ich in diesem Zusammenhang einen wichtigen Punkt noch ansprechen?

Frage: Bitte.

Dürr: Wenn jemand hart arbeitet, eine 40-Stunden-Woche hat und kein Großverdiener ist, dann muss sich das für ihn mehr rentieren, als wenn er eine Unterstützung beim Staat beantragt.

Frage: Klingt nach: Leistung muss sich wieder lohnen.

Dürr: Natürlich! Aber ganz im Ernst: Diese Fairness muss doch da sein. Diese Menschen müssen am Ende des Tages doch wissen, dass es sich gelohnt hat, zur Arbeit zu geben. Derjenige, der arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet.