Christian Dürr: Wir sparen nicht, wir investieren
Der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion Christian Dürr gab dem „RND“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Daniela Vates.
Frage: Herr Dürr, die Ukraine hat die russische Region Kursk angegriffen, offenbar sind dort auch von Deutschland gelieferte Panzer zum Einsatz gekommen. Wie wohl ist Ihnen dabei?
Dürr: Die Panzer sind im Besitz der Ukraine. Das zentrale Kriterium für ihren Einsatz ist das Völkerrecht. Und die Ukraine hält sich an das Völkerrecht. Wenn man angegriffen wird, darf man sich gegen den Aggressor verteidigen und versuchen, ihn zurückzudrängen. Russland hingegen hat das Völkerrecht gebrochen, in dem es in die Ukraine eingefallen ist.
Frage: Hat diese Entwicklung eine Auswirkung auf künftige Waffenlieferungen an die Ukraine? Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer verlangt, diese zurückzufahren.
Dürr: Mir scheint bei manchen Ministerpräsidenten der CDU und der SPD, dass sie sich mit Äußerungen zur Ukraine-Politik für eine Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht aufhübschen wollen. Wenn wegen egoistischer Parteitaktik in Kauf genommen wird, die Sicherheit Deutschlands zu gefährden, ist das unredlich und beunruhigend. Sowohl Herr Kretschmer als auch Herr Woidke (Dietmar Woidke ist Ministerpräsident in Brandenburg, Anm. d. Red.) sollten sich besinnen.
Frage: Woidke und Kretschmer sagen, man müsse mehr auf Diplomatie setzen.
Dürr: Die Diplomatieversuche sind in vollem Gange. Aber dazu gehören immer zwei Seiten – und es ist Putin, der sich verweigert. Niemand hier ist gegen den Frieden. Aber Frieden heißt ja nicht, dass man sich erobern lässt. Und es heißt auch nicht, dass man hinnehmen sollte, wenn ein anderer Staat das Völkerrecht bricht.
Frage: Ändert sich Ihr Blick auf die Ukraine dadurch, dass der Generalbundesanwalt einen Ukrainer als Saboteur der Nord-Stream-Pipeline identifiziert hat?
Dürr: Nein. Das zeigt in erster Linie, dass unser Rechtsstaat funktioniert: Nicht die Staatsangehörigkeit eines Straftäters spielt eine Rolle, sondern ob jemand eine Straftat begangen hat.
Frage: Die Koalition verhandelt immer noch über den Bundeshaushalt 2025. Muss auch bei Bundeswehr und Ukraine-Unterstützung gespart werden?
Dürr: Wir sparen nicht, wir investieren. Die Investitionen sind auf Rekordniveau. Und das ist gut so. Der Bund hat noch nie so viel Geld für die Bundeswehr und für Bildung ausgegeben und noch nie so viel in Straßen und Schienen investiert. Das zeigt übrigens, dass es ein absolutes Märchen ist, dass die Schuldenbremse Investitionen verhindert. Das Gegenteil ist richtig. Die Schuldenbremse ist die Voraussetzung dafür, dass man sich auf die Infrastrukturinvestitionen konzentriert. In der Vergangenheit haben Vorgängerregierungen einfach ihre politischen Konflikte mit dem Geld der Steuerzahler zugeschüttet. So etwas machen wir nicht mehr.
Frage: Dass die Koalition ihre Konflikte unter den Teppich kehrt, lässt sich wirklich nicht behaupten. Im Bundeshaushalt fehlen noch 5 Milliarden Euro. Erwarten Sie, dass die Regierung diese Lücke diese Woche noch schließt? Und was passiert, wenn das nicht gelingt?
Dürr: Ich bin zuversichtlich, dass es eine Einigung geben wird. Aber dabei geht es nicht um einzelne Tage oder Stunden – das Ergebnis muss stimmen. Der Haushalt muss solide sein und verfassungsgemäß. Weil wir als Freie Demokraten darauf bestehen, hat sich die Regierung vorgenommen, die Schuldenbremse einzuhalten. Da sind wir bereits auf Kurs. Wir haben uns vorgenommen, auf Rekordniveau in die Zukunft des Landes zu investieren. Auch hier sind wir auf Kurs. 99 Prozent des Haushalts stehen. Jetzt muss noch die letzte Lücke geschlossen werden. Die Dimension zeigt, dass die Aufgabe machbar ist.
Frage: Bis wann braucht der Bundestag den Haushaltsentwurf der Regierung? In der Koalition wurde diese Woche als Frist genannt.
Dürr: Der Bundestag berät zum ersten Mal am 10. September über den Bundeshaushalt. Das zeigt, dass wir noch etwas Zeit haben. Je zeitnäher es die Einigung gibt, umso besser ist das natürlich.
Frage: Wie groß schätzen Sie die Möglichkeit ein, dass die Koalition an diesen 5 Milliarden Euro zerbricht?
Dürr: Ich gehe davon aus, dass die Einigung gelingt.
Frage: Bundeskanzler Scholz hat Finanzminister Christian Lindner vor wenigen Tagen vorgeworfen, Gutachten zum Bundeshaushalt falsch einzuschätzen. So eine Misstrauenserklärung irritiert Sie nicht?
Dürr: Ich habe das nicht als Misstrauenserklärung verstanden. Wir sind uns in der Bewertung doch weitgehend einig. Insbesondere die Kreditermächtigung der KfW zur Haushaltsfinanzierung wird es nicht geben. Über manche Debatte rund um das Gutachten habe ich mich doch sehr gewundert.
Frage: Es gibt noch die Finanzierungsinstrumente über die Bahn und die Autobahngesellschaft. Erreichen sie damit die 5 Milliarden Euro?
Dürr: Es muss eine Verständigung darüber geben, was rechtlich möglich ist und was wirtschaftlich sinnvoll ist. Für die FDP ist klar, dass wir keine halbsoliden Lösungen akzeptieren. Schließlich geht es darum, wie mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler umgegangen wird.
Frage: Sie haben eine Kürzung des Bürgergelds um 14 bis 20 Euro vorgeschlagen. Das Arbeitsministerium hat darauf verwiesen, dass das nicht geht, weil das Gesetz nur Erhöhungen und Nullrunden vorsehe. Wussten Sie das nicht?
Dürr: Doch. Aber genau darauf will ich ja hinaus. Wir müssen das Recht so ändern, dass eine Kürzung möglich ist. Wir haben bei Einführung des Bürgergelds dafür gesorgt, dass es sehr zeitnah an Inflationsentwicklungen nach oben angepasst wird – und nicht erst mit anderthalb Jahren Verspätung. Wenn die Inflation dann geringer als erwartet ausfällt, so wie jetzt, muss das auch abgebildet werden. Die Gesetzesänderung wäre eine sehr leichte Operation. Und sie würde die Akzeptanz des Bürgergelds in der Gesellschaft erhöhen.
Frage: Muss man immer bei denen sparen, die eh wenig haben?
Dürr: Die Anpassung ist eine Frage der Gerechtigkeit. Weil die Preise dann ja niedriger sind, bleibt die Existenzsicherung dabei sichergestellt.
Frage: Aus der FDP-Fraktion kommt auch die Forderung, das Entwicklungshilfeministerium dem Auswärtigen Amt anzugliedern. Was würde das bringen?
Dürr: Mittelfristig kann das absolut Sinn machen. In allen anderen EU-Staaten ist die Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium angesiedelt. Es könnte die Entwicklungshilfe effizienter machen, indem sie strategischer mit Blick auf die deutschen Interessen eingesetzt wird. Und Doppelstrukturen zu vermeiden, ist ohnehin angebracht. Die Politik kann ruhig auch mal bei sich selber kürzen.
Frage: Bundesinnenministerin Nancy Faeser plant offenbar, dem BKA heimliche Wohnungsdurchsuchungen zur Terrorbekämpfung ermöglichen. Zieht die FDP da mit?
Dürr: Reine Symbolpolitik macht keinen Sinn. Eine pauschale Möglichkeit, dass der Staat in jede Wohnung eindringen kann, um etwa Schadsoftware auf Rechnern zu installieren, ist kein sinnvoller Weg. Die Unverletzlichkeit der Wohnung steht im Grundgesetz, damit darf nicht leichtfertig umgegangen werden. Man findet die Nadel im Heuhaufen nicht besser, indem man den Heuhaufen größer macht, sondern man muss effizienter in der Verbrechensbekämpfung werden. Entscheidend sind dafür Digitalisierung und bessere Vernetzung der Behörden. Und da, wo es um konkrete Terrorismusbekämpfungen geht, muss eine Polizei schlagkräftig sein.
Frage: Wie ist es mit dem biometrischen Abgleich von Fotos aus dem Internet? Bei der RAF-Terroristin Daniela Klette haben das Journalisten gemacht, nicht aber die Polizei. Auch dafür sind offenbar neue gesetzliche Regelungen geplant.
Dürr: Wenn Terroristen Bilder von sich ins Internet stellen, können Sicherheitsbehörden diese Bilder selbstverständlich verwenden, um sie hinter Gitter zu bringen. Für eine Neuregelung gibt es da keinen Bedarf, man muss die bestehenden Regelungen eben durchsetzen.
Frage: Und dann ist da noch die Idee Faesers, das Mitführen von Messern mit einer Klingenlänge von über 6 Zentimeter in der Öffentlichkeit zu verbieten.
Dürr: Ich habe manchmal das Gefühl, dass einige glauben, es verhindere Taten, wenn man etwas ins Gesetzblatt schreibt. Eine Waffenrechtsverschärfung träfe auch Jägerinnen und Jäger. Kriminelle würde das nicht interessieren, wenn es nicht durchgesetzt wird. Ich halte Messerverbots-Zonen für effektiver. Die können die Länder schon heute einrichten.
Frage: Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins im Eilverfahren vorläufig ausgesetzt. FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat deswegen den Rücktritt von Ministerin Faeser ins Spiel gebracht - hat er Recht?
Dürr: Verbote müssen im Rechtsstaat immer das allerletzte Mittel sein. Wir haben deshalb das Vorgehen des Innenministeriums von Anfang an sehr kritisch gesehen. Extremistische Positionen muss man zuallererst politisch bekämpfen und nicht juristisch.
Frage: Bei mehreren Bundeswehr-Einrichtungen gibt es den Verdacht auf Sabotage. Was schließen Sie daraus?
Dürr: Wir haben in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten die kritische Infrastruktur nicht so stark gesichert, wie es nach heutigen Standards notwendig wäre. Man hat sich in falscher Sicherheit gewiegt und gedacht, es werde keine geopolitische Auseinandersetzung in Europa mehr geben. Das hat sich als Trugschluss erwiesen. Darauf müssen wir reagieren. In die Bundeswehr haben wir bereits viel investiert. Wir müssen auch unsere kritische Infrastruktur schützen. Denn wir wollen ein Land sein, das verteidigungsfähig ist.
Frage: Das Gesetz zum Schutz der kritischen Infrastruktur hat die Koalition aber noch nicht verabschiedet. Drängt das jetzt mehr?
Dürr: Wir arbeiten daran. Aber wir müssen darauf achten, private Unternehmen nicht einfach nur mit Bürokratie zu überziehen. Es geht um Effizienz, nicht darum, Aktenordner zu füllen.
Frage: Sprechen wir noch über das Thema Auto. Das FDP-Präsidium hat beschlossen, dass Parkgebühren abgeschafft und Fußgängerzonen sowie Fahrradstraßen reduziert werden sollen. Widerspruch dazu kommt auch aus ihrer eigenen Partei – mit dem Hinweis, dies sei rückwärtsgewandt. Hat die FDP den Anschluss verpasst?
Dürr: Im Gegenteil. Der FDP-Bundesverkehrsminister hat das digitale Deutschland-Ticket für den ÖPNV eingeführt. Das zeigt, dass wir für Mobilität unabhängig vom Verkehrsträger sind. Aber das Auto darf nicht verteufelt werden. Ein digitales Park-Ticket wäre sehr innovativ und praktisch. Was wirklich von gestern ist, ist diese Entweder-Oder-Politik: alle Autos raus oder alle Autos rein. Es ist unterkomplex, den Herausforderungen des Lebens mit Verboten zu begegnen. Ich will weder dem Autofahrer, noch demjenigen, der die Öffis nutzt, das Leben schwermachen. Ich will beiden das Leben leichter machen.