Christian Dürr: Mittelstand braucht schnell Liquidität
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Nordwest-Zeitung“ das folgende Interview.
Die Fragen stellte Hergen Schelling:
Frage: Kanzlerin Merkel hat heute im Bundestag den Umgang mit den Corona-Lockerungen als „zu forsch“ beschrieben und vorher schon vor „Öffnungsdiskussionsorgien“ gewarnt. Was halten Sie davon?
Dürr: Diskussionen müssen jederzeit möglich sein, davor sollte man nie warnen. Für mich kommt mit solchen Äußerungen zum Ausdruck, dass viele Menschen die Regeln nicht nachvollziehen können. Warum ist eine Verkaufsfläche von 750 m2 sicherer als eine mit 850 m2? Regeln müssen nachvollziehbar sein, damit sie Akzeptanz finden.
Frage: Sie und Ihre Fraktion drängen auf mehr Lockerung ...
Dürr: Nicht um jeden Preis. Es muss wieder losgehen, ja, aber unter neuen Rahmenbedingungen. Das sind die klaren Regeln zum Infektionsschutz. Wenn sich alle daran halten, kann man auch mehr öffnen.
Frage: Sie stellen heute für die FDP den Antrag, mit einer negativen Gewinnsteuer dem Mittelstand in der Krise zu helfen. Was bedeutet das?
Dürr: Das ist ein wirksames Instrument, um Unternehmern und Selbstständigen zu schneller Liquidität zu verhelfen, ohne dass sie hinterher vor einem riesigen Schuldenberg stehen. Und es ist einfach umzusetzen, weil wir dafür die vorhandenen Beziehungen zwischen Firmen und Finanzämtern nutzen. In einem ersten Schritt geht es darum, die Vorsteuer, die vierteljährlich zu entrichten ist, in eine Art Corona-Vorschuss umzuwandeln: eine kurzfristige Liquiditätsauszahlung durch das Finanzamt. Die kann sich zum Beispiel an den Steuerbeträgen des Vorjahres orientieren.
Frage: Und der zweite Schritt?
Dürr: Damit wollen wir die Krise nach der Krise verhindern. Mit den KfW-Krediten, die jetzt gewährt werden, verschulden sich die Unternehmen wegen einer Liquiditätslücke – also nicht für Investitionen, die später mehr Umsatz und Gewinn versprechen, sondern für ein Geschäft, das ihnen entgangen ist. Also fehlt vielen nachher das Geld in der Kasse, um erstens die Kredite zurückzuzahlen und zweitens zu investieren. Darum muss im zweiten Schritt mit der Steuererklärung der Gewinnverlust kompensiert werden.
Frage: Was fordern sie da konkret?
Dürr: Für jeden Euro entgangenen Gewinn sollte der Staat den Unternehmen und Selbstständigen 80 Cent erstatten. Um zu verhindern, dass jemand benachteiligt wird, der erfolgreich gewirtschaftet und seine Verluste gering gehalten hat, sollte nicht der individuelle, sondern der durchschnittliche Verlust der jeweiligen Branche herangezogen werden. Die Daten müssten Wirtschaftsforschungsinstitute möglichst schnell liefern.
Frage: Der Staat gewährt schon Soforthilfen, legt Förderprogramme auf und denkt über Kaufanreize nach – wo soll das ganze Geld dafür herkommen?
Dürr: Das ist der entscheidende Punkt: Statt einen ganzen Strauß an Subventionsideen zu entwerfen, sollte der Staat sich darauf konzentrieren, gezielt jedem Unternehmen zu helfen. Das ist mit der negativen Gewinnsteuer möglich. Von teuren Konjunkturprogrammen oder so etwas wie der Abwrackprämie profitieren nur die großen Konzerne.
Frage: Kurze Frage zum Schluss: Wie findet eigentlich Parlamentsalltag unter Corona-Bedingungen statt?
Dürr: Mit ganz vielen Videokonferenzen. Wir Abgeordneten kommen nur im Plenarsaal zusammen und auch da mit viel Abstand. Der direkte Austausch fehlt mir schon ein bisschen. Ich verbringe in diesen Wochen die meiste Zeit allein am Rechner.