Christian Dürr: Steuern runter und die Mitte stärken

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr schrieb für die „Nordwest-Zeitung“ (Freitagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Christian Dürr MdB

Seit Wochen hält das Coronavirus unsere Gesellschaft auf Trab. Sind wir vor wenigen Monaten noch spontan zum Einkaufen über die niederländische Grenze oder in den Urlaub nach Dänemark gefahren, war plötzlich alles anders: Schulen wurden geschlossen, Grenzkontrollen eingeführt, das öffentliche Leben auf ein Minimum heruntergefahren. Ein Vierteljahr nach Beginn des Lockdowns ist es an der Zeit, erste Lehren aus der Corona-Pandemie zu ziehen.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist zweifellos, wie lebensnotwendig gezielte Investitionen ins Gesundheitswesen sind. Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir gut durch die Krise gekommen, zahlreiche Infizierte wurden gerettet. Aber leider mangelt es noch immer an Wertschätzung für das medizinische Personal, das sich jeden Tag an vorderster Front für die Eindämmung des Virus einsetzt. Die Pflege steht seit Jahren unter einem enormen Druck, zusätzlich müssen die Krankenhäuser gegen irre Bürokratie ankämpfen. Unser Gesundheitssystem ist krisenfest, doch die Belastungen für das Personal sind zu groß.

Es hapert aber auch an anderen Stellen. So bereitet mir die Richtung, die Union und SPD in der Wirtschaftspolitik einschlagen, große Sorgen. Die umfangreichen Corona-Hilfen waren nur möglich, weil unsere mittelständischen Unternehmen seit Jahren für Millionen Arbeitsplätze und Wachstum gesorgt haben. Nur so war übrigens die Finanzierung unseres Gesundheitswesens möglich.

In der Krise hat sich aber gezeigt, dass die Bundesregierung die Mitte völlig vernachlässigt. Statt auf Innovationen zu setzen, investiert die Große Koalition lieber in die Vergangenheit. Wenn das so bleibt, verlieren wir doppelt: Dann stehen unzählige Arbeitsplätze auf dem Spiel und der Schuldenberg wird kaum abzutragen sein.

Das größte Problem jedoch ist der Umgang mit einer unserer wichtigsten Ressourcen: der Bildung. Dass sich die Schulen im Vergleich zu anderen Ländern noch immer in der Kreidezeit befinden, obwohl die Mittel für die Digitalisierung vorhanden sind, ist keine neue Erkenntnis. Dass sich jedoch in einer Krise, deren Ausmaß nicht abzusehen war, kein anderer Weg gefunden hat, als den Schulalltag auf Null runterzufahren und die Kinder für unbestimmte Zeit nach Hause zu schicken, ist fatal. Die Schulen waren in der Krise handlungsunfähig. Und das ist nicht die Schuld der Lehrer, sondern die Schuld des Staats. Mangels digitaler Ausstattung war es kaum möglich, Online-Unterricht zu gewährleisten. Deutschland hinkt in Sachen Digitalisierung weit hinterher, nicht nur in der Bildung, sondern in der ganzen Infrastruktur. Ob Selbstständige, Künstler oder Arbeitnehmer – alle haben versucht, mit kreativen Lösungen das Beste aus dem Lockdown zu machen. Doch häufig haperte es schlichtweg am Netz, das eben nicht an jeder Milchkanne vorhanden ist.

Aber welche Konsequenzen müssen wir daraus für die Zukunft unseres Landes ziehen?

Als erstes sollten wir dafür sorgen, dass die arbeitende Mitte mehr Anerkennung erfährt und neues Vertrauen fasst – denn es ist der Mittelstand, der am meisten unter den Folgen des Lockdowns leidet. Und es ist die Mitte, die den größten Beitrag zu unserem Wohlfahrtsstaat leistet. Es reicht nicht, Teile der Gesellschaft als systemrelevant zu bezeichnen und auf dem Balkon zu applaudieren. Die Wertschätzung muss sich finanziell und im Arbeitsalltag auszahlen. Das betrifft im Übrigen nicht nur das Personal im Gesundheitswesen, sondern auch die Verkäufer in der Bäckerei, die Einsatzkräfte der Feuerwehr und viele mehr.

Wir brauchen keine niedrigere Mehrwertsteuer, von der am Ende Onlinehändler wie Amazon profitieren. Wir brauchen eine echte Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen, indem wir die Einkommenssteuer senken und den Soli ein für alle Mal abschaffen.

Zudem muss es Aufgabe der Politik sein, in einen Staat zu investieren, der international wettbewerbsfähig bleibt.

Unter den 20 größten Tech-Unternehmen befindet sich kein einziges aus Europa, geschweige denn Deutschland. Das muss sich ändern. Wir müssen wieder mutiger werden, denn nur durch Ideenreichtum und Erfindergeist können wir globale Herausforderungen bewältigen – das gilt auch für den Klimawandel.

Nicht der Staat wird den Klimawandel bewältigen, sondern der Ideenreichtum der Menschen und Unternehmen. Nach der Krise muss unser Land fit für die Zukunft werden. Dazu gehört auch, dass unser Bildungssystem nicht noch einmal so versagen darf wie jetzt. Es ist ein Rätsel, warum erst 0,14 Prozent der Mittel aus dem Pakt zur Digitalisierung von Schulen abgeflossen sind. Die Gelder müssen endlich dort ankommen, wo sie gebraucht werden, nämlich in den Schulen! Jeder Euro, der in die Bildung junger Menschen investiert wird, zahlt sich doppelt und dreifach aus. Nicht nur für den Einzelnen, sondern für die ganze Volkswirtschaft.

Es ist an der Zeit, den Neustart zu wagen und in ein zukunftsfähiges Land zu investieren, mit finanziellem Freiraum für eigene Ideen, digitaler Bildung und Infrastruktur auf höchstem Niveau. Das muss nun die Aufgabe der Politik sein, damit wir in der nächsten Krise besser vorbereitet sind. Während der Staat es an vielen Stellen verpasst hat, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um auf Veränderung reagieren zu können, haben wir erlebt, dass sich die Menschen in der Not umso schneller anpassen können. Denn bei allen Herausforderungen hat uns die Corona-Krise auch eines gezeigt: wie groß die Solidarität in der Gesellschaft ist. Unzählige Menschen haben großartige Hilfe in der Nachbarschaft geleistet, zum Beispiel bei der Kinderbetreuung oder bei der Unterstützung lokaler Betriebe.

In den letzten Monaten haben wir aufeinander Acht gegeben. Daran sollten wir auch nach der Krise festhalten.