Konstantin Kuhle und Imke Haake im Interview mit der Braunschweiger Zeitung

Konstantin Kuhle MdB, Landesvorsitzender der FDP Niedersachsen und Generalsekretärin Imke Haake, gaben der Braunschweiger Zeitung das folgende Interview. Die Fragen stellte Andre Dolle:

Glückwunsch zu Ihrer beider Wahl nachträglich. Geht es mit Ihnen nun wieder bergauf für die FDP?

Konstantin Kuhle: Die FDP war fast 20 Jahre lang ununterbrochen im Landtag vertreten. Jetzt haben wir eine harte Zäsur erlebt. Wir merken, dass es uns schwerer fällt, wahrgenommen zu werden und mitzuhalten. Wir haben andererseits mehr als 800 kommunale Amts- und Mandatsträger in den Kommunen in Niedersachsen. Mit Imke Haake ist eine unserer erfolgreichsten Kommunalpolitikerinnen Generalsekretärin geworden. Zusammen mit unseren Bundestags- und Europaabgeordneten bekommen wir das hin. Die FDP ist nicht weg, wir haben 2027 gute Chancen, wieder in den Landtag einzuziehen.

Herr Kuhle, Sie konnten sich mit 63 Prozent bei den Vorstandswahlen durchsetzen. Ein Spitzenwert ist das aber nicht unbedingt.

Kuhle: Ich bin damit total zufrieden. Ich hatte beim Landesparteitag in Hildesheim fünf Gegenkandidaten. Offener Wettbewerb ist richtig und gut. Mit dem neuen CDU-Landesvorsitzenden Sebastian Lechner arbeite ich sehr gut zusammen. Es gab aber im Vorfeld der Wahl bei der CDU auch Diskussionen darüber, ob es nicht besser gewesen wäre, personelle Alternativen zu haben. Anders als die CDU haben wir als FDP den Wettbewerb offen ausgetragen. Das gehört zum Wesen der Parteien. Die FDP ist eben nicht glattgebürstet, sondern besteht aus unterschiedlichen Persönlichkeiten. 

Sie haben im Vorfeld gesagt, dass Sie nur zusammen mit Frau Haake das neue Führungsduo bilden, Herr Kuhle. Fühlen Sie sich geehrt, Frau Haake?

Imke Haake: Ja, das ist so. Wir sind in der FDP nun breit aufgestellt - Hauptamt, Ehrenamt, thematisch und auch regional. All das hilft uns im Flächenland Niedersachsen.

Die Ampel gibt nicht gerade ein harmonisches Bild ab. Tut es da mal gut, in Niedersachsen unterwegs zu sein, Herr Kuhle?

Kuhle: Die sitzungsfreie Zeit im Sommer ist der richtige Zeitpunkt, um mit den Leuten mal in Ruhe ins Gespräch zu kommen. Oft ist der Austausch zwischen zwei Sitzungswochen sehr gehetzt. Da kommt dann der Abgeordnete aus Berlin, hört sich das alles an und fährt nach einer Stunde zur dritten oder vierten Veranstaltung. Es fehlt die Zeit, auch mal genauer hinzuhören. Wir haben angesichts steigender Umfragewerte extremistischer Parteien den Auftrag, unsere eigene Haltung und Arbeitsweise zu reflektieren.

Zu CDU-Chef Lechner haben Sie ja offenbar einen ganz guten Kontakt. Spricht aufgrund der Streitereien in der Ampel einiges für eine Wiederannäherung von CDU und FDP, auch in Niedersachsen?

Kuhle: Zwischen 2003 und 2013 hat die CDU/FDP-Koalition in Niedersachsen tiefgreifende Strukturreformen umgesetzt. Wir haben die Bezirksregierungen abgeschafft, wir haben das Abi nach 12 Jahren eingeführt, wir haben klar auf Entschuldung gesetzt. Wenn ich versuche, die großen Strukturreformen von Stephan Weil aufzuzählen, muss ich sehr lange nachdenken. Das größte Projekt, dass dieser Ministerpräsident gerade bearbeitet, ist die Suche nach seinem Nachfolger. Das ist zu wenig. Mir fehlt in der rot-grünen Landesregierung der Ehrgeiz.

In der Ära Weil gab es viel Krisenbewältigung. Das hatten die CDU-Ministerpräsidenten Wulff und McAllister sicher nicht so.

Kuhle: Wir hatten in der SPD-Ära unter Gerhard Schröder, Gerhard Glogowski und Sigmar Gabriel aber einen ähnlichen Reformstau wie heute. Wir als FDP geben uns jedoch nicht der Illusion hin, dass sich die CDU in jeder Situation für uns als Partner entscheidet. Das war zum Beispiel in Schleswig-Holstein nicht so, wo die CDU nun mit den Grünen regiert. Wir stehen auch in Niedersachsen nicht Gewehr bei Fuß, wenn es für CDU und Grüne nicht reicht. Es kommt immer darauf an, liberale Inhalte durchzusetzen.

Wie werten Sie denn den Vorstoß der CDU, das Individualrecht auf Asyl zu kippen? Ist das reines Fischen am rechten Rand?

Kuhle: Die CDU macht das, weil viele Menschen sich Sorgen machen. Viele Kommunen ächzen unter den hohen Zuzugszahlen. Das Individualrecht komplett aus dem Grundgesetz zu streichen und stattdessen Kontingente einzuführen, ist verfassungswidrig. Damit hat sich dieser Vorschlag schon erledigt. Das wird nicht kommen. Die Union will von ihrem eigenen Versagen in der Migrationspolitik ablenken.

Ist es durchschaubar, was die CDU hier macht?

Kuhle: Es ist total durschaubar, weil es nichts bringt. Von den 244.000 Asylbewerbern im vergangenen Jahr haben unter einem Prozent Asyl nach Artikel 16a des Grundgesetzes erhalten. Wir schlagen vor, statt dessen sofort Georgien und Moldau zu sicheren Herkunfsländern zu erklären. Das würde unsere Kommunen direkt um zehn Prozent an Flüchtlingen entlasten.

Laut einer Allensbach-Umfrage liegt die FDP in Niedersachsen bei 5 Prozent, die AfD aber bei satten 14 Prozent. Was läuft falsch?

Haake: Unsere Tendenz stimmt, das reicht aber natürlich noch nicht. Die AfD schürt Ängste, ist vor allem in den sozialen Medien leider sehr gut vernetzt.

Kuhle: Ich mache mir angesichts der drei Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern im nächsten Jahr große Sorgen. Die Verunsicherung ist groß, viele sind sehr unruhig, das liegt an den Krisen - von Corona bis hin zum Ukraine-Krieg und der Energiekrise, der Inflation. Einige Menschen glauben, den etablierten Parteien an der Wahlurne eins auswischen zu müssen. Das Tabu, offen rechtsextremistisch und faschistisch zu wählen, nimmt gleichzeitig immer mehr ab. Auch wir als FDP sind nicht frei von Schuld, dass dann eine fast schon ritualisierte Empörung folgt. Wir können aber auch einige der Wähler, die einmal AfD gewählt haben, zurückgewinnen. Ich wünsche mir von den Parteien jetzt eine Alle-Mann-an-Deck-Mentalität, wenn es um die Verteidigung der Demokratie geht.

Welchen Anteil trägt die FDP in der zuweilen zerstrittenen Ampel am Umfragehoch der AfD?

Kuhle: Ich habe wahrgenommen, dass Ministerpräsident Weil vor allem der FDP unterstellt, für Streit zu sorgen. Wir wissen auch, dass bestimmte Menschen sich eine konstruktivere Ampel-Politik wünschen. Ich bezweifle aber, dass es in der bürgerlichen Mitte in Deutschland Applaus gegeben hätte, wenn die FDP das Heizungsgesetz von Robert Habeck einfach durchgewunken hätte. Der Streit hat sich gelohnt, wir haben das Gesetz deutlich verbessert. Das Eigentum der Bürger wird geschützt. Eine einseitige Privilegierung von Wärmepumpen wird es nicht geben. 

Laut Stephan Weil ist das Ehegattensplitting „aus der Adenauerzeit“. Die FDP will daran festhalten. Mal zugespitzt gefragt: Kümmern Sie sich lieber um Heim, Herd und Kinder, Frau Haake?

Haake (lacht): Das würde man einen Mann wohl nicht fragen. Der Wegfall des Ehegattensplittings würde die arbeitende Mitte zusätzlich belasten. Seit den 50er Jahren und der Adenauerzeit hat sich zum Glück einiges getan. Die Gehälter von Männern und Frauen haben sich angenähert. Wir wollen die Steuerklassen 3 und 5 abschaffen, ohne auf den Splittingvorteil zu verzichten. Dann sollen die Ehepartner selbst entscheiden, wie sie den Alltag organisieren.

Kuhle: Es ist ja kein Wunder, dass Herr Weil sich hinter den Vorschlag des aus Niedersachsen stammenden Parteichefs Lars Klingbeil stellt. Diese Debatte treibt die SPD bewusst in die Ampel hinein. Die SPD will eine Gegenfinanzierung schaffen, weil die grüne Familienministerin Paus eine Einschränkung des Elterngelds vorgeschlagen hat. Wir stehen aber nicht zur Verfügung, arbeitenden Eltern durch eine Abschaffung des Ehegattensplittings Geld abzuzwacken — nur damit alle Gutverdiener weiterhin das Elterngeld bekommen. Wenn es einen klugen Vorschlag auch aus den Reihen von SPD und Grünen gibt, wie wir das Steuersystem vereinfachen und gleichzeitig die Vorteile des Elterngeldes erhalten können, sind wir sofort dabei. Den SPD-Vorschlag werden wir so in dieser Legislaturperiode aber nicht umsetzen.

Familienministerin Paus reagiert dabei im Kern doch nur auf Sparauflagen von Finanzminister Lindner. Werden bei der Diskussion um Besserverdiener beim Elterngeld nicht die Eltern am unteren Ende der Einkommensskala komplett vergessen? Denn die sollen ja profitieren.

Kuhle: Finanzminister Lindner verteidigt das Grundgesetz. Unsere Verfassung enthält die Schuldenbremse nicht nur aus kosmetischen Gründen. Wir haben massive Zinsbelastungen. Am Ende dieses Jahres werden sie im Bundeshaushalt bei 30 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Der komplette Haushalt unserer Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger liegt bei 21 Milliarden. Wir geben also im Bund mehr Geld für Zinsen aus als für Bildung. Da muss auch die Familienministerin erst mal ein vernünftiges Konzept für die Kindergrundsicherung vorlegen, bevor sie nach mehr Geld ruft. SPD und Grüne machen es sich hier sehr einfach. Christian Lindner ist der Schatzmeister, er ist aber nicht der ganze Verein.

Haake: Die Diskussion um das Elterngeld zeigt doch, dass wir viel mehr in Bildung und Betreuung investieren müssen. Mit mehr Geld ist es nicht immer getan. Wir müssen schon in den Kitas und Grundschulen ansetzen. Wir müssen möglichst alle Kinder mitnehmen.

Kuhle: Unser Sozialstaat ist nicht treffsicher genug. Wir geben sehr viel Geld mit der Gießkanne aus, haben mehr als 100 familienbezogene Sozialleistungen. In der Stadt Salzgitter gibt es zum Beispiel aber schlechtere Aufstiegschancen als im Emsland oder in Vechta. Dabei können die Kinder nichts für die Verhältnisse, in denen sie aufwachsen.

Ein Hebel sind auch mehr Lehrer. Niedersachsen sucht dringend mehr Lehrer. Wo würden Sie ansetzen, Frau Haake?

Haake: Wir laufen in Niedersachsen im Bildungssystem schon lange hinterher, haben eine chronische Unterrichtsversorgung und eine Mangelverwaltung. Während sich die Gesellschaft verändert, läuft das System Schule hinterher. Zusätzliche Herausforderungen wie Integration, Inklusion oder Digitalisierung können die Schulen unter den aktuellen Bedingungen nicht gerecht werden.

Ist die Besoldungsstufe A13 auch für Lehrer in Grund-, Haupt- und Realschulen in Niedersachsen zum 1. August 2024 der richtige Schritt?

Haake: Das ist längst überfällig. Fast alle unsere Nachbarländer haben A13 für alle Lehrkräfte. Entsprechend müssten auch die Funktions- und Schulleiterstellen besser honoriert werden, um den Beruf attraktiver zu machen. Die digitale Kompetenz spielt in der Lehrerausbildung bisher kaum eine Rolle.

Welchen Job macht Kultusministerin Hamburg?

Haake: Das ist ausbaufähig. Ich bin seit 15 Jahren in der Schule, bin gerne Lehrerin. Wir sind aber zu langsam, sind nicht mehr zeitgemäß. Es hakt an vielen Schulen an der Personalplanung. Viele Referendare, die jetzt fertig geworden sind, mussten sich zum 1. Juli arbeitslos melden - und die Schulen gehen in die Ferien und wissen nicht, wie viele und welche Lehrer nach den Ferien da sein werden